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Anne Rice - "Blood and Gold" EUR 8.54

 

„Blood and Gold“ ist mittlerweile schon der achte Band aus der Reihe der „Vampirchroniken“, die immer weniger irgendeine Art von Intention verfolgen oder gar eine nachvollziehbare sinnvolle Handlung aufweisen. Mal ehrlich: Wer will es Anne Rice verdenken, daß ihr nach 30 Jahren zu einem Thema nun doch nichts Neues mehr einfällt. Nur zur Erinnerung: Ihr genialer Erstling „Interview mit einem Vampir“ wurde 1973 erstveröffentlicht! Ihr Schreiben konzentriert sich immer mehr auf die Technik, die sie in „New Tales of the Vampires“ (eine Art Spin Off zu den Vampirchroniken) entwickelt hat: Jeder Roman widmet sich einem Vampir - und dieser bekommt die Gelegenheit, seine (Un)Lebensgeschichte zu erzählen. Und zwar in allen Einzelheiten.

In vorangegangenen Romanen konnten Pandora, Vittorio, Armand und Merrick ihre Lebensgeschichte ausbreiten. Diesmal ist der uralte Marius, den der geneigte Leser schon seit "Der Fürst der Finsternis" kennt, an der Reihe. Gleich am Anfang von „Blood and Gold“ wird uns ein neuer Vampir vorgestellt: Thorn hat sich von der Welt zurückgezogen und Jahrtausende im ewigen Eis verbracht. Nun ist er erwacht und landet - welch Zufall - genau in Marius' Haus. Und Marius, ganz der wohlerzogene Intellektuelle, fordert Thorn natürlich auf, zu bleiben und Zeit mit ihm zu verbringen. Beide verlangt es nach etwas und beide hoffen, es bei dem jeweils anderen zu finden: Thorn lechzt geradezu danach, nach den tausenden Jahren der Stille endlich wieder gesprochene Worte vernehmen zu können. Und Marius ist einfach einsam (das alte Laster der Vampire) und will „bloß reden“. Und schon hat Anne Rice den ziemlich dünnen, aber dennoch seitenweise ausgebreiteten Rahmen für ihren Story, in dem sie ja Marius' Geschichte erzählen will. Sie hat Mitleid mit ihrem Leser: Sie läßt Ereignisse, die sie bereits erzählt hat, aus. So werden die Ereignisse aus „Der Fürst der Finsternis“ (als Marius Lestat erzählt, wie er zum Vampir wurde), „Pandora“ (Marius's Liebesgeschichte) und „The Vampire Armand“ (Marius liest Armand in Venedig auf und nimmt in unter seine Fittiche) nicht noch einmal thematisiert. Trotzdem schafft sie es, die Geschichte auch für Leser, die die vorigen Bücher nicht kennen, logisch zu erhalten. Wenn man die Vampirchroniken kennt, muß man bestimmte Sachen hier also nicht wiederlesen und sich eventuell langweilen. Dem unbedarften Neueinsteiger werden die chronologischen Löcher in der Erzählung wahrscheinlich gar nicht auffallen.

Der Leser folgt Marius ins Alte Ägypten, wo er sich auf die Suche nach JENEN, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN macht. Dabei handelt es sich um ein Paar uralter Vampire, die den Ursprung des Vampirismus darstellen: Würden sie zerstört, würde das auch alle anderen Vampire töten. Also wird Marius ausgesendet, sich um sie zu kümmern und sie zu beschützen. Und so zieht er, immer die beiden uralten Vampire im Schlepptau nach Rom, Konstantinopel und schließlich Venedig, wo er Maler wird und sich ganz normal zwischen Sterblichen bewegt - was schreckliche Folgen hat. Marius zwingt den Leser durch die Jahrhunderte, als wären es Tage. Anne Rice schafft es, ihren Stil an ein (mögliches) vampirisches Zeitverständnis anzupassen. Es gibt in dem Buch keinen wirklichen Maßstab, keine Daten oder Jahreszahlen. In welcher Zeit er sich befindet, ist für den Leser nur durch Schlüsselbegriffe, berühmte Persönlichkeiten oder Kunstwerke zu erkennen. Es ist also durchaus möglich, daß man sich schon längst in der Renaissance befindet, obwohl man dachte, man wäre immer noch im Mittelalter. Das mag verwirrend sein, jedoch denke ich, daß es dem entspricht, wie ein Vampir Zeit empfinden würde: Manche Jahrhunderte fliegen nur so vorbei. Andere wiederum sind vollgepackt mit Ereignissen.

Das Problem des Romans ist der offensichtlich mit Mühe konstruierte Handlungsrahmen, der keine andere Funktion hat, als Marius dazu zu bringen, loszureden. Und doch, wenn er beginnt zu erzählen, spricht er nicht mit Thorn (seinem Zuhörer), sondern einem angenommenem Leser. Er bezieht sich auf Lestats Romane, als hätte Thorn sie gelesen (ich denke nicht, daß amazon.com schon bis ins Ewige Eis liefert). Er erklärt die Fähigkeiten eines Vampirs, als kenne Thorn sie nicht aus eigener Erfahrung. Das macht das Buch im Stil sehr inkonsistent und man fragt sich, wozu Thorn nun eigentlich eingeführt wurde.

Außerdem ein großes Manko des Buches: Es bringt die Handlung der Vampirchroniken nicht voran. Nach „Merrick“ war ich begierig darauf, zu erfahren, was nun mit Louis geschieht. Wie geht es weiter? Wie kommt er mit der neuen Situation und seinen neuen Kräften zurecht - etwas, daß er immer für sich abgelehnt hat? Aber nichts davon wird in „Blood and Gold“ aufgegriffen. Wahrscheinlich liegt Lestat schon wieder auf diesem kalten Kirchenfußboden herum, wie er es schon seit drei Büchern macht.

In „Blood and Gold“ entwirft Anne Rice also einmal mehr ein Panorama vorm Auge des Lesers: In einer Tour de Force geht es durch die Jahrhunderte. Man betrachtet Gemälde, Bauwerke, hält kurz bei bestimmten Personen inne und fragt sich unterwegs: Warum les ich das? Wenn man als Leser eine Vorliebe für breit angelegte Historienbilder hat, sich gern in ferne Zeiten und an exotische Orte entführen läßt, dann kann "Blood and Gold" durchaus eine unterhaltsame Lektüre sein. Wenn man erwartet, daß Handlungsstränge aus den vorangegangenen Romanen der Vampirchroniken wieder aufgenommen werden, dann wird man enttäuscht werden.