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Anne Rice - Blackwood Farm (engl. Ausgabe - Euro 25,08

 

Mit „Blackwood Farm“ hat Anne Rice den mittlerweile neunten Band der Vampirchroniken vorgelegt. Wer allerdings denkt, nun würde die Storyline um Lestat weiterverfolgt, der irrt gewaltig. Zwar spielt er eine marginale Rolle, doch die Ereignisse aus „Merrick“ werden kaum wieder aufgegriffen.

Denn eigentlich hatte er New Orleans zu seinem Gebiet erklärt und angedroht, Vampire, die sich dorthin trauen, gnadenlos zu vernichten. Quinn Blackwood, seines Zeichens frischgebackener Untoter, wagt es trotzdem. Er hat alle Bücher Lestats gelesen und weiss also über die Geschichte der Entstehung der Vampire bestens Bescheid. Der erste Vampir soll nämlich entstanden sein, als ein blutdurstiger Geist in die tödlichen Wunden eines ägyptischen Herrscherpaares eingedrungen war. Das stellt Quinn vor ein gefährliches Problem: Seit frühester Jugend nämlich begleitet ihn ein Doppelgänger in Form des Geistes Goblin. Seit Quinn zum Vampir geworden ist, hat sich auch Goblin verändert. Nachdem Quinn seinen Durst gestillt hat, wird er mit schöner Regelmäßigkeit von Goblin attackiert, der sich seinen Anteil der Blutmahlzeit abholt. Von mal zu mal erscheint Goblin stärker und Quinn plagen nun Ängste, ob sich durch Goblin eine neue Rasse von Vampiren entwickeln könne.

Also wendet er sich an jemanden, der sich damit auskennt: Lestat soll ihm helfen, Goblin zu vernichten, um so eine Gefahr für Mensch und Vampir zu vermeiden. Doch statt Quinn zu vernichten, wie Lestat angekündigt hatte, nimmt er ihn unter seine Fittiche, führt mit ihm bedeutungsschwangere Gespräche und freundet sich sogar mit dessen hochbetagter Tante Aunt Queen an, die er sofort „entrancing“ findet und ihr spontan seine Liebe gesteht.

Um Lestat nun genau zu erklären, was es mit diesem Geist auf sich hat, holt Quinn reichlich weit aus, klärt Lestat (und den Leser) zunächst über die komplette Familiengeschichte der Blackwoods auf und ergeht sich dann über mehrere hundert Seiten darin, sein junges Leben Revue passieren zu lassen.

Aufgewachsen ist Klein-Quinn als Einzelkind zwischen lauter Erwachsenen. Diese machten sich also zunächst keine Gedanken über den dazugehörigen Geist Goblin, da sie annahmen, es handle sich um einen eingebildeten Freund. Als steinreicher Erbe von Blackwood Farm entwickelt sich Quinn bald zu einem exzentrischen, egomanischen und geradezu unerträglich naiven jungen Mann. Mehrere Lehrer werden verschlissen, um ihm eine humanistische Bildung angedeihen zu lassen, die obligatorische Grand Tour durch Europa folgt, als er 18 Jahre alt ist und ebenfalls in diesem Alter entbrennt seine Liebe zur kleinen Mona Mayfair, obwohl er einen Tag zuvor noch davon überzeugt war, schwul zu sein. Ganz in der Tradition verklärter Romanzen, packt Quinn seine Liebeserklärungen in schwülstige Worte, versichert immer wieder, Mona heiraten zu wollen und verschwendet nun keine Gedanken mehr an Homosexualität (denn vorher hat er auch schonmal mit Geist Goblin unter der Dusche heiße Sexspielchen getrieben).

Eine gewisse Dynamik kommt endlich in die Geschichte, als Quinn anfängt das Familiengeheimnis um Sugar Devil Island aufzudecken, auf dem ein altes Haus steht, das offenbar immer noch bewohnt ist. Bei all seinen Besuchen findet er gelesene Taschenbücher vor, Asche im Ofen und – O Wunder – eine goldgefasste Gruft. Der erfahrene Anne Rice Leser weiss nun, was Quinn erst noch schmerzlich erfahren muss, denn natürlich handelt es sich bei dem geheimnisvollen Bewohner des Eilands um einen Vampir.

Petronia, eine Figur ganz nach dem Riceschen Ideal eines Vampirs, findet Gefallen am jungen Blackwood und fängt an, ihn zu bedrohen und mit ihm zu spielen. Das Ende der Geschichte ist, natürlich, dass Quinn als Vampir endet.

Nach Quinns ausführlicher Biographie, werden die letzten fünfzig Seiten noch darauf verwendet, das Geheimnis um seinen Geist zu lösen, diesen unschädlich zu machen und Mona von ihrer geheimnisvollen Krankheit zu heilen. Wo Anne Rice in Quinns Biographie weit ausgeholt und jedes Detail geradezu obsessiv beschrieben hat, wird die eigentlich viel spannendere Rahmenhandlung um Lestat, Quinn und den Geist wie eine unliebsame Aufgabe auf einer Mindestanzahl von Seiten abgehandelt.

„Blood refreshed for Rice“ (Denver Post) oder „a completely fresh story“ (Booklist) tönte die Fachpresse vor der Veröffentlichung. Und tatsächlich liest sich „Blackwood Farm“ aus verschiedenen Gründen unterhaltsamer als die zwei Vorgänger. Wenn Rice in „Merrick“ noch unerreichbare Dschungellandschaften beschrieb und in „Blood and Gold“ ins alte Rom eintauchte, so sieht sie in ihrem neuesten Roman ein, dass sie nur über ihr Bekanntes auch überzeugend schreiben kann. Die Darstellungen von New Orleans und vor allem dem magischen Blackwood Farm, das nicht nur ein Hort für Geister, sondern auch für abstrakte Begriffe wie Heimat und Familie ist, sind so bildlich, dass man sich als Leser förmlich in die Landschaft der Sümpfe um New Orleans versetzt fühlt. Dieses Talent lässt sofort nach, wenn sie sich aus dem Umkreis von New Orleans entfernt. Schon Reisen nach New York oder gar nach Italien wirken distanziert und kaum wie aus dem Reiseführer abgeschrieben.

Ein weiterer Vorteil ist ihre Entscheidung, die Geschichte komplett in der Gegenwart anzusiedeln. So werden die Geschehnisse um Quinn Blackwood für den Leser erfahrbarer und es ergibt sich die Möglichkeit, Charaktere aus ihren beiden großen Serien, nämlich den „Vampirchroniken“ und den „Mayfairs“ miteinander zu verknüpfen. Wirkte dieser Versuch eines Crossovers in „Merrick“ bemüht und wenig durch die Geschichte determiniert, so erscheint es hier nur logisch beide Familien zusammenzuführen und in einem Roman zu verweben.

Anne Rices letztes Buch krankt wie auch schon die Vorgänger an ihrem festgefahrenen Schreibschema und an der Tatsache, dass in früheren Büchern begonnen Handlungsstränge einfach nicht weitergeführt werden. Fans der Mayfair-Chroniken dagegen werden sich freuen, Rowan und Mona Mayfair, sowie Michael Curry wiederzutreffen. Sogar Juliens Geist hat einen Auftritt und trinkt mit Quinn Kakao.

Doch „Blackwood Farm“ ist dennoch ein unterhaltsames Lesevergnügen, vor allem durch die große Anzahl neuer, unverbrauchter Charaktere, die der eingefahrenen Riceschen Buchproduktion neuen Pepp verleihen. Und obwohl außerdem Charaktere aus ihren beiden großen Romanreihen fast unkommentiert eingeführt werden, sollte die Lektüre auch für Neueinsteiger gut zu bewältigen sein. Dass plötzliche Auftauchen einiger Mayfairs macht höchstens neugierig auf die dazugehörigen Romane, einem Verständnis der Gesamthandlung wirken sie aber nicht entgegen.

Der neue große Coup ist Anne Rice aber nicht gelungen. Weiterhin sind ihre ersten Romane auch ihre stärksten und es scheint an der Zeit, die Fackel an jüngere Horrorautorinnen wie Laurell K. Hamilton oder Charlaine Harris abzugeben.

Michelle