8. Staffel, Folge 7

The Darkest Thing

von Mel

Co-Autoren: Yamato, Hope, Stefan, Cthullu

 

 

 

Länge: ca. 70 Seiten
Autor: Mel
Co-Autoren:
Yamato, Hope, Stefan, Cthullu

Bilderstellung: Chris

Song: Gloria Gaynors, I will survive

 

Credits:
Projekt 8 ist ein Projekt von slayerfanfic.de mit spezieller Unterstützung durch buffy-online.com als auch slayerzone.de, slayerworld.info, virtuelleserienonline.de sowie weiteren Partnern.


Disclaimer: Die virtuelle, achte Staffel baut auf das von Joss Whedon erschaffene Buffy-Universum auf. Sie wurde von Fans für Fans geschaffen, ohne dem Ziel damit Geld zu verdienen. Das Universum und seine Charaktere sind das alleinige Gedankengut von Joss Whedon, Mutant Enemy, FOX, WB und Paramount.

 

++++

 

Giles (V.O.): Bisher bei Buffy....

Weatherby klaut den Talisman aus dem Hochhaus. – 8.02
Die Krähe taucht aus dem blauen Licht in der Lagerhalle auf. – 8.02
Der Talisman wird an Samielle weitergegeben. – 8.02
Samielle verletzt mit ihrem dämonischen Schnabel ihren vermummten Auftragsgeber. – 8.02
Eine Krähe beobachtet Dawn und Andrew durch das Fenster in Giles’ Wohnung, während sich die beiden unterhalten – 8.03


Lily, Giles, Buffy und Dawn sitzen schweigend und befangen am Tisch beim Essen – 8.03
Lily und Giles streiten über seine Arbeit als Wächter und Lily kritisiert Buffy als Jägerin, während Buffy die beiden belauscht . – 8.05

Giles: „Dies ist eine Prüfung. Die Jägerin muss sich ihr unterziehen wenn sie... nun, sofern sie je ihren 18. Geburtstag feiert. Die Jägerin, äh, wird ihrer Kräfte beraubt... und dann zusammen mit einem besonders gefährlichen Vampir eingeschlossen. Äh, sie muss ihn besiegen um die Prüfung zu bestehen.“
Buffy steht auf und wirft das Etui nach ihm, trifft aber nur die Wand neben ihm. „Sie Mistkerl!“ – 3.12  

Giles: „Aber ich habe geschworen diese arme Welt zu beschützen, und manchmal bedeutet das etwas zu sagen oder zu tun... was andere Leute nicht können. Was sie nicht müssen sollten.“

Buffy: „Wenn Sie versuchen ihr wehzutun, wissen Sie, dass ich Sie aufhalten werde.“ – 5.22

Buffy greift nach der Türe: „Ich denke es gibt nichts, dass Sie mich noch lehren könnten.“, und schließt die Türe vor Giles’ Nase. – 7.17
Buffy's Auseinandersetzung mit Giles: "Wir haben kein Jägerin und Wächter Verhältnis mehr. Ich weiß nicht einmal mehr, wie weit es noch das einer Freundschaft ist, oder mehr das einer Verpflichtung.“ - 8.04

 

Buffy bittet Willow Lily und Giles im Auge zu behalten: “... du könntest ein Auge auf Lily und Giles werfen.“
„Bist du verrückt, Buffy? Ich kann doch nicht Giles.. bespitzeln.“
„Nicht ihn direkt, aber Lily. Ich traue ihr keine zehn Fuß weit.“ – 8.06


Dawn wird von Leroy mit Shin entdeckt. Sein Freund Marvin provoziert einen Streit. Shin wird vom Ball ausgeschlossen. Dawn geht mit ihm. – 8.06

Andrew sieht niedergeschlagen den tanzenden Pärchen auf dem Hallowe’enball zu – 8.06

Buffy rettet Shin und Dawn vor dem Angriff eines Iah K'uru  und zeigt sich anschließend nicht erfreut über Dawns angebliches falsches Verhalten – 8.06

 

Buffy auf der Suche nach einer passenden Wohnung – 8.04
Xander führt Buffy eine kleine, aber hübsche Wohnung vor, die seiner Firma gehört. – 8.05

 

Dawn verrät Lily, dass sie eine Jägerin ist: "Ich bin wohl irgendwie eine Jägerin... und ich habe keine Ahnung, wie ich es Buffy sagen oder wie ich mich verhalten soll.“ – 8.06

 

 

Teaser

 

 

Cleveland

Messgelände. Nachts.
Das Riesenrad erhob sich aus der bunten, lauten Menge und drehte sich gemächlich zu den Klängen französischer Chansons, als wolle es mit aller Gewalt dem hektischen Treiben zu seinen Füssen trotzen. Die hellen, blinkenden Lichter hoben sich grell gegen den schwarzen Nachthimmel Clevelands ab und die Musik wurde weit in die Nacht hinausgetragen.

 

Schritte hallten auf dem Asphalt wieder. Plötzlich schlitterte ein Mann um die Ecke und konnte sich gerade noch an der Hauswand auffangen, bevor es ihm die Füße unter dem Körper wegschlug. Er war außer Atem, sein Haar klebte an seiner Stirn und Schweiß lief ihm über das Gesicht. Seine Augen, vor Entsetzen geweitet, blickten panisch hinter sich. Ein großer, massiger Schatten glitt über die Häuserfassade auf ihn zu. Hastig stieß er sich ab und rannte weiter durch die dunkle Passage. Vor ihm lag der Messplatz und die bunten, sich bewegenden Lichter rückten in sein Blickfeld. Die Musik klang gedämpft zu ihm herüber und vermischte sich mit dem Rauschen in seinen Ohren.

 

Mit dem großartigen Gefühl der Erleichterung stolperte der dunkelhaarige Mann aus der Dunkelheit hinaus, inmitten das bunte Treiben. Empfangen von lauter Musik, grölenden Stimmen, Schreie und Rufe, Gerüche von Süßem und Gebratenem. Er war gerettet. Das falsche Licht würde den Schatten, der ihm gefolgt war, aufhalten. Für eine Sekunde glaubte er hinter der Barriere aus Licht im Dunklen, sich etwas hin und her bewegen zu sehen. Doch das war sicher nur die Angst, die ihm etwas vorgaukeln wollte – halt.. er log sich selbst an. Er wusste es besser.

 

Sich langsam der Blicke der anderen Besucher bewusst werdend, fuhr er sich durch das verschwitzte Haar, zog sein dunkelrotes Hemd zurecht und versuchte langsamer zu atmen. Er hatte es geschafft. Was auch immer hinter ihm her war, es war fort. Er musste sofort zu seinen Leuten, um davon zu berichten. Jemand würde wissen, was dieser Schatten zu bedeuten hatte, außer dem Tod.

Der Schatten umschlich im Dunkeln die hellen Schaubuden, als könnten die Lichter des Platzes ihn tatsächlich zurückhalten, eine Grenze ziehen, die für ihn unüberwindbar war.

 

Das Zelt von Sina der Wahrsagerin, wie in leuchtend hellen Buchstaben verkündet wurde, kam in sein Sichtfeld. Er beschleunigte seine Schritte, um das Zelt schneller zu erreichen. Dabei stieß er Besucher unsanft an, murmelte eine Entschuldigung und hielt seinen Blick auf das Zelt gerichtet. Die Leute wichen bereits vor ihm zurück, aus Angst der Mann mit dem irren Blick, würde sie gleich anfallen... doch er war nicht das Grauen. Das lauerte dort draußen, in der Dunkelheit.

Er riss den Vorhang vor dem Eingang zur Seite. Eine Krähe flatterte, aus ihrer Nachtruhe gerissen, von der Zeltstange in die Dunkelheit davon. Er zuckte kurz erschrocken zusammen und trat dann ein. Stille empfing ihn dahinter. Seine Erleichterung schlug wieder in Panik um, als er niemanden im Zelt sah. Der Mann stolperte zurück in den Lärm und in die Helligkeit. Hastig blickte er um sich und entschied sich für eine bestimmte Richtung. Er verschwand zwischen den Schaubuden, um Sina im Wohnwagen zu suchen. Der Schweiß rann ihm über die Stirn in die Augen. Mit einer Handbewegung wischte er ihn zur Seite, zog an seinem Kragen, um die angestaute Hitze entweichen zu lassen und atmete tief durch. Ein plötzliches Lachen vor ihm, ließ ihn zusammenzucken. Doch es war nur ein Pärchen, das sich zwischen den Wohntrailern herumtrieb und auch schon wieder engumschlungen verschwand. Sinas Wohnwagen tauchte wenige Meter vor ihm auf und Erleichterung spiegelte sich auf seinem Gesicht wieder.

Ein leises Klicken ließ ihn zur Seite blicken. Als würden die Krallen eines Hundes über Asphalt oder Kies laufen. Doch wahrscheinlich schien er auch jetzt nur in seiner Panik überall die Gefahr zu wittern. Das Klicken wiederholte sich und der gehetzte Mann fuhr herum. Der große, unförmige Schatten, der ihn durch die halbe Stadt gehetzt hatte, sprang ihn, zu Masse geworden, frontal an, riss ihn zu Boden und entlockte dem Opfer einen panischen Schrei, der in ein Gurgeln unterging, als die Nacht von einem bestialischen Knurren und dem Reißen von Stoff und Fleisch erfüllt wurde.

 

++++

 

Cleveland.
Messgelände. Früh Morgens.

Grelles Licht blitzte auf, als die forensische Abteilung am Tatort ihre Aufnahmen machte. Der Blitz enthüllte das ganze Ausmaß der Grausamkeit. Blut, welches die weiße Wohnwagenwand bespritzt hatte, Blut überall auf dem Kiesweg und die Blutspur, die entstanden war, als jemand die Leiche wohl zwischen den Trailern hindurch in das Pferdezelt gezogen oder geschleift hatte.

 

Polizisten riegelten den Platz sowie den Zugang zum Pferdezelt ab, um Schaulustige fernzuhalten. Einige Männer und Frauen in Schutzanzügen bewegten sich vorsichtig zwischen der Fundstelle und der Blutspur hin und her, stellten Schildchen mit Nummern darauf auf, machten weitere Aufnahmen und lasen Gegenstände mit einer Pinzette auf, um sie in Plastikbeuteln verschwinden zu lassen.

 

Buffy, Giles und Xander drängten sich durch die Menge der Schaulustigen hindurch. Ihnen war bewusst, dass sie an der Sperre nicht vorbeikamen, aber sicher konnten sie einen Blick auf den Tatort erhaschen. Mehr erwarteten sie nicht.
 

„Ich hoffe, wir sehen nicht mehr als nichts,“ Xander klang nicht sonderlich erpicht auf Details. „Mir reicht noch immer, was ich in diesem Haus gesehen habe, nachdem ein Wrukola darin gewütet hatte.“

 

„Du hast doch schon Schlimmeres gesehen,“ versuchte Buffy die Situation zu verharmlosen.

 

„Hey.. Dämonenschleim und Dämonenblut.. das ist was anderes.“

 

„Aha,“ grinste Buffy und sah zu Giles. „Und? Das wievielte Opfer war das noch einmal gleich?“

 

„Das siebte,“ sagte Giles. „Dem Muster entsprechend. Für jeden Tag der vergangenen Woche ein Opfer.“

 

„Ein richtig fleißiges Monster,“ nickte Buffy. „Oder sehr hungrig. Aber so weit ich weiß, töten fleißige Heinzelmännchen nicht. Also scheiden sie als Täter aus. Hey.. da drüben ist eine undichte Stelle.“ Buffy zeigte abseits des Pferdezeltes zu einem schmalen Durchgang zwischen Zelt und Wohnwagen. Dabei konnte sie mit Leichtigkeit den strafenden Blick von Giles ignorieren, mit dem er seinen Unmut über Buffys Leichtfertigkeit Ausdruck verlieh.

 

„Andrew hätte seine größte Freude an dem ganzen,“ maulte Xander weiter. „Er fährt voll auf Grissom ab.“

 

„Wen?“ Giles sah irritiert über seine Schulter, als er Buffy folgte.

 

„Nicht so wichtig,“ winkte Xander ab.

 

Keiner der Beamten in den hinteren Bereichen schien Interesse zu zeigen, als Buffy, Giles und Xander einen Bogen schlugen. Trotzdem sah Giles vorsichtig hinter sich, um ganz sicher zu gehen, dass ihnen wirklich niemand folgte. Doch keiner hielt sie auf, als sie durch den schmalen Pass auf die Rückseite des Zeltes gingen.

 

„Wir sollten nicht so...“

 

„Ach das merkt schon keiner, Giles,“ beruhigte Buffy. „Und wenn jemand kommt, erfinden wir schon eine passende Story.“ Sie klopfte Giles beruhigend auf den Rücken, grinste und ging weiter. „Wir sind doch erfahrene Geschichtenerzähler.“

 

„Igitt“, fluchte Xander hinter ihnen plötzlich unvorsichtig laut, als er in etwas trat, das unter seinem Fuß nachgab. Er kam kurz ins Rutschen und seine Sohle verursachte ein leises Quietsch-Geräusch. „Wenn das jetzt Pferdemist ist, dann...,“ Xander hob den Schuh und sah nach unten. Sein Auge fiel auf das dunkelrote Nasse, das unter der Zeltplane hervor gequollen war. Er drehte seinen Fuß und blickte auf eine blutgetränkte Schuhsohle. „Oh Gott....,“ Xander wurde blass. „Ich glaube ich verzichte auf Einzelheiten. Ich gehe da nicht rein.“

 

Giles besaß die Ruhe, sein Taschentuch aus der Hosentasche hervor zu zaubern und reichte es an Xander weiter, der nur sehr widerwillig danach griff, um sich den Schuh zu säubern.

 

„Er hieß Ja’nos.“ Die dunkle, weiche Stimme mit dem harten Akzent, die plötzlich erklang, ließ die drei herumfahren. Sie fühlten sich unendlich ertappt und waren sehr erleichtert, als sie eine Frau mittleren Alters hinter sich stehen sahen, die mit bekümmerten Gesicht an einem der Wohnwägen lehnte. Ihr dunkles, langes Haar fiel ihr offen über die Schultern und als sie sich bewegte, klirrten ihre Armbänder gegeneinander. Die dunklen Augen taxierten einen nach dem anderen und blieben auf Giles ruhen. Für einen Moment hatte Giles ein Déjà Vu, als sein Blick den dunkelbraunen Augen begegnete. Aber es war nicht greifbar und das Gefühl war so schnell vorüber, wie es gekommen war. Diese Augen.. an etwas hatten sie ihn erinnert.

 

„Sie kannten das Opfer?“ Buffy lenkte die Aufmerksamkeit auf sich, ohne zu bemerken, was eben zwischen Giles und der Fremden passiert war.

„Ja. Er war mein Neffe.“

 

„Oh, das... oh.“ Buffy suchte nach den richtigen Worten.

 

„Das tut uns sehr leid,“ sprang Giles ein und seine Stimme klang sanft, aufrichtig.

 

„Wir haben es kommen gesehen,“ versuchte die Frau ihre Trauer zu überspielen. „Karten lügen nie.“

 

„Karten?“, Xander wischte sich ungeschickt  den letzten  Blutfleck von der Sohle und hielt das Taschentuch in der Hand, völlig überfordert, was er jetzt damit tun sollte. Giles konnte er es wohl kaum zurückgeben. „Eintrittskarten? Pokerblatt...“

 

Giles verdrehte die Augen und kam kurz in die Versuchung der fremden Frau zu erklären, dass der arme Junge leider ein wenig zurückgeblieben sei, als sie schon gelassen eine Erklärung gab: „Tarotkarten.“ Sie sah zurück zu Giles. „Sie glauben sicher nicht an so etwas?“

 

„Oh, haben Sie eine Ahnung, woran wir alles glauben,“ murmelte Xander peinlich berührt über seinen kleinen Patzer. Aber das Taschentuch irritierte ihn zu sehr. Er behielt es jetzt in der Hand, auch wenn es ihn davor ekelte, und beschloss es einfach zu ignorieren.

 

Inzwischen war es Buffy aufgefallen, dass die Frau meist konzentriert ihre Worte an Giles richtete. Irgendwie war die Situation unheimlich, als wären Xander und sie nicht wirklich anwesend.

 

„Und Sie sind?“, unterbrach Buffy diesmal bewusst, um den Blickkontakt der beiden zu unterbinden. Es war nur ein Hauch von Gefahr, den sie zu spüren glaubte, aber sie wollte nichts dem Zufall überlassen. Auch wenn sie damit unhöfflich wirken mochte.

 

„Sina. Die Wahrsagerin.“

 

Giles schüttelte leicht den Kopf und blinzelte, als wäre er von etwas eingefangen gewesen, das ihn wieder frei ließ. „Kennen wir uns?“, fragte er wegen den verwirrenden Gefühlen, die mit der Frau zusammenzuhängen schienen und rieb sich die Schläfe.

 

„Nicht das ich wüsste. Aber ich spüre, nein ‚empfinde’ eine tiefe, unbewusste Verbindung zwischen Ihnen und meinem Volk. Und ihnen,“ sie blickte zu den beiden jungen Erwachsenen.


Giles zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, ließ seine Hände in den Hosentaschen verschwinden und wusste nicht so recht, was er mit den Worten anfangen sollte. „Aha.. ehm... ihrem Volk...“

 

„Den Kalderashs.“ Sinas Worte schlugen ein, wie eine Bombe und die Zigeunerin war über das plötzliche, aber unbehagliche Schweigen zwischen den Anwesenden überrascht. Mit einer solchen Reaktion hatte sie nicht gerechnet.

 

Giles’ Gedanken überschlugen sich. Für wie viele Jahre hatte er nicht mehr daran gedacht? Falsch.. hatte er versucht nicht mehr daran zu denken? Und dann trafen ihn die Erinnerungen so unvorbereitet? Er wagte einen kurzen Blick zu Buffy und Xander, die selbst erschrocken und irritiert wirkten.

 

„Sie sind...uhm... nun ja,“ Giles lachte nervös auf. „Sind Sie zufällig hier?“ Er versuchte einfach über Sinas Worte hinwegzuspielen, als hätte sie überhaupt nichts gesagt.

“Glauben Sie an Zufall? Oder Schicksal?“

 

Sinas Worte verwirrten ihn. Er schüttelte den Kopf. „An Vorsehung ja.. aber ansonsten...“

 

„Dann nennen Sie es Vorsehung, dass wir hier her kamen und Sie uns trafen.“

 

„Schön und gut.. könnten wir uns wieder auf ihren toten Neffen konzentrieren?“ Buffy war die Situation sehr unangenehm. All die Jahre hatten sie nie darüber gesprochen, was im Frühjahr und  Sommer 1998 alles geschehen war. Mit dieser Frau wurden fast brutal alte Erinnerungen aufgebrochen. Sie vermied es, zu Giles zu sehen, auch wenn sie seinen Blick spürte.

„Oh.. ich glaube.. ich habe wohl das Falsche gesagt,“ Sina spürte, dass ihre Worte nicht sehr einfühlsam gewesen waren und diese drei Menschen viel mehr mit ihrem Volk verband, als sie geahnt hatte. Offensichtlich hatte den dreien Janna mehr bedeutet, als die Gerüchte unter ihnen besagten. „Nun... dann sollten wir wirklich wieder auf Jan’os zu sprechen kommen? Aber ich kann Ihnen nicht viel darüber erzählen. Die Karten haben seinen Tod gesehen, nicht wann, nicht wo, nur von einer höheren Macht vorhergesehen. Ich könnte Ihnen die Karten legen. Vielleicht sehe ich etwas Neues.“

 

Giles, noch aufgewühlt von den vorherigen Worten, sah auf. „Ich dachte mir schon, dass Sie uns nichts über Ihren Neffen sagen können, aber könnte ich, wegen gerade...“

 

„Gibt es hier einen Zugang zum Zelt, ohne dass uns die Polizei aufhält,“ fiel ihm Buffy hart ins Wort. Sie fürchtete das, was Giles als Nächstes sagen oder fragen konnte und wollte weg von hier. So schnell es ging.

 

Sina nickte, und sah Giles traurig an, ehe sie wieder zu Buffy blickte. „Wenn ihr um die Ecke geht, und ein paar Schritte weiter lauft, kommt ihr zu der Naht, an der die Zeltplanen verbunden sind. Es ist kein offizieller Durchgang. Wenn ihr die Naht löst, habt ihr ein Schlupfloch und steht dazu noch genau an der Stelle, an der Ja’nos wohl noch immer liegt.“

 

„Danke. Kommt ihr?“ Buffy war wild entschlossen zu gehen. Kein weiteres Nachfragen, kein weiteres Bohren.. nicht am Ende sogar noch Namen nennen, die weh taten.

 

„Buffy vielleicht, sollten wir,“ begann Xander zögernd und erntete einen giftigen Blick. „Okay.. ich komme schon. Giles?“

 

„Ich könnte Ihnen persönlich die Karten legen,“ mischte sich Sina auf einmal wieder ein. „Sie von dem befreien,“ sie machte eine Kreisbewegung Richtung ihrer eigenen Stirn. „Was dahinter vor sich geht. Ich spüre, dass diese Verbindung keine Glückliche war.“

 

„Hören Sie damit auf,“ wehrte Giles abrupt ab und überraschte Buffy und Xander. „Sie raten doch nur und wissen gar nichts.“ Giles war bereit, sie einfach stehen zu lassen, ganz gegen seine Art, um in das Zelt zu gehen. So wie es Buffy vorhatte. Auf einmal waren ihm seine Fragen egal. Nein, er wollte nicht erinnert werden. Und was wusste schon diese Frau? Unglückliche Verbindung? Nein, er hatte Jenny geliebt. Sie beide hatten nur nicht unter guten Sternen gestanden. Von ihrem Volk hatte er nichts gewusst und als er es erfuhr, war es viel zu spät gewesen. Ihn verband mit Sina gar nichts. Allerdings wusste er jetzt, woher das Déjà Vu gekommen war.


Er fühlte sich zu nichts verpflichtet, ihr bei was-auch-immer zu helfen. Er hatte ganz andere Probleme und Sorgen...

 

„Aber Ihr Schicksal ist eng mit diesem Wesen verbunden und mit der Vergangenheit. Alles kommt irgendwann wieder an die Oberfläche.“ Sina schien nicht locker lassen zu wollen. „Und das wissen Sie.“


“Was wissen SIE?“ Buffy trat zwischen Sina und Giles und lenkte gewaltsam die Aufmerksamkeit zurück auf sich. Das Zelt war kurz vergessen, auch die Angst vor Erinnerungen. „Welches Wesen?“

„Vieles, oder auch nichts,“ ignorierte Sina Buffys letzte Frage.

 

Xander verdrehte die Augen. „Sie klingen wie eines dieser alten verdammten Orakeln. Weise aber nichtswissend.“

 

Sina lachte. „Wenn Sie das glauben?“


Giles zögerte. Sieben Morde... das waren sieben zu viel in so kurzen Zeitabständen. Und er wollte natürlich Antworten auf all die Andeutungen hören. Auch, wenn er längst wusste, was in Cleveland wütete. „Einverstanden...“

 

„Giles!“ Buffy drehte sich mahnend herum.

 

„Es scheint unsere einzige Chance zu sein,“ versuchte er Buffy zu beruhigen, legte seine Hände auf ihre Schultern und schob sie zu Xander. „Untersucht ihr das Zelt.“

 

„Dann kommen Sie.“ Sina führte ihn durch die Wohnwägen weg von dem Pferdezelt und ließ Buffy und Xander mit besorgten Blicken zurück.

 

++++

 

Universitätsgelände Cleveland
Willows Zimmer
selbe Zeit

Dawn stand unschlüssig vor Willows Zimmer in der Chreston-Hall. Hinter dieser Tür befand sich vermutlich die einzige Person, mit der sie im Moment über alles reden konnte, was geschehen war. Ohne Vorhaltungen zu bekommen, und ohne Angst, ihr Geheimnis zu verraten.

Als sie schließlich ihre Faust zum Klopfen hob, hatte Dawn keine Ahnung, ob Willow um diese Zeit in einer Vorlesung war, oder vielleicht mit Kennedy beschäftigt, aber sie würde es einfach versuchen müssen. „Sonst muss ich mir wohl ein zurückschreibendes Tagebuch zulegen,“ murmelte Dawn mit Unterton, und dachte an das mehr oder weniger geglückte Gespräch mit Buffy vor einiger Zeit.

Zwar hatte ihr Buffy alles abgekauft, was sie ihr über Leroy, Marvin und Shin erzählt hatte, auch wie es mit Andrew gelaufen war, aber irgendwie war es Dawn so vorgekommen, als hätte Buffy etwas geahnt. Sie hatte nicht nachgefragt, wieso Marvin Dawn und Shin angegriffen hatte, noch wollte sie wirklich weitere Details über Dawns Versuche, die drei Dates unter einen Hut zu bekommen, hören, aber ihr nachdenklicher Gesichtsausdruck ließ Dawn davon ausgehen, dass Buffy etwas ahnte. Schließlich musste Buffy zugeben, dass sie überreagiert hatte, als sie Dawn mit Shin vor Marvin rettete. Sie hatte sich sogar bei Dawn entschuldigt, und die Erinnerung lockte ein kleines Lächeln auf ihre Lippen.

Dawn ließ die Faust wieder sinken und drückte ihr Ohr leicht gegen die Holztüre, nur um sicher zu gehen, dass keine Geräusche, die auf bestimmte Tätigkeiten zurückzuführen wären, zu hören waren. Doch offensichtlich schien Willow alleine zu sein. Das Türklopfen hallte durch den ganzen Gang, der ihr nun noch viel leerer vorkam. Geduldig wartete sie darauf, dass Willow sie herein ließ.

Es hätte noch Lily gegeben, fuhr ihr durch den Kopf, mit der sie noch einmal hätte reden können. Aber auch wenn Lily inzwischen eine Vertrauensperson für sie darstellte, brauchte sie jetzt jemanden in ihrem Alter.

Nach ein paar Sekunden öffnete Willow die Tür, und sah Dawn verwirrt an. „Oh, hi Dawnie, was machst du hier? Solltest du nicht in der Schule sein?“,

„Ich... ich habe später Unterricht. Und ich wollte eigentlich mit dir reden. Irgendwie hat niemand wirklich Zeit für mich, und es gibt nun einmal Dinge, die nicht gerade viele Leute etwas angehen,“ antwortete Dawn, und zog dabei eine Augenbraue hoch.

„O-kay. Dann komm doch rein in mein kleines, etwas mit Büchern vollgestopftes Reich. Habe ich schon erwähnt, dass es klein ist? Sehr klein?“

„Ja hast du, und ich denke, dass sieht nur durch den ganzen Kram hier so eng aus.“ Dawn stolperte fast über einen Lektürestapel, und kämpfte sich danach den Weg in Richtung Bett. Willow war anzusehen, dass sie viel mit den Recherchen und wohl auch mit der Arbeit fürs College zu tun hatte. Von Kennedy war weit und breit keine Spur zu sehen, und Dawn fand, dass Willow vielleicht sogar etwas verzweifelt aussah, da nichts was sie anstrebte, zufriedenstellende Ergebnisse zurücklieferte.

„Also, was liegt dir auf dem Herzen? Ich komm’ mir irgendwie grad vor, wie eine Zeitschriften Jugendberaterin auf diesen gewissen Frageseiten,“ grinste Willow.

„Eigentlich... so ziemlich alles, was die letzten Wochen betrifft," begann Dawn. "Das heißt wohl eher, was den Hallowe'enball betrifft. Dazu musste Buffy natürlich wieder eine Runde ‚Ich bin die Große Schwester, und du bist ein Nichts’, spielen, und mich vor einem Jungen unmöglich machen.“

„Aha,“ Willow erinnerte sich an den Ball und an Dawns Sorge keine Begleitung zu finden. Aber irgendwie hatte sie über den Streit mit Kennedy, den diversen Recherchearbeiten und ihrem Studium gar nicht mehr daran gedacht. „Hm.. ich schätze, du wirst mir gleich alles erzählen?“

“Unter anderem,“ seufzte Dawn. „Hast du mitbekommen, mit wem ich zum Ball gegangen bin?“

„Tja das ist ne’ gute Frage.. vielleicht mit dem Schul-Sunnyboy, einem Filmfreak, oder jemand ganz anderem?“, riet Willow, und traf damit wohl nicht einmal so weit daneben.

„Mit allen dreien,“ korrigierte Dawn, und begann zu erzählen.

 

++++

 

Messplatz
Vor dem Pferdezelt

„Denkst du sie becirct ihn und tötet ihn danach?“

 

„Also Xander, deine Phantasie möchte ich nicht geschenkt haben!“

 

„Aber, aber.. es entspricht doch immer einem Muster. Wenn ein Mann aus unserer Gruppe auf eine Frau trifft... die irgendwie.. unheimlich ist.. nimm Ampata, oder mein letztes Abenteuer...“
 

„Du meinst, wenn DU auf eine Frau triffst. Giles ist klug. Er heißt nicht Xander,“ witzelte Buffy und lachte, als Xander beleidigt dreinschaute. „Du weißt, was ich meine,“ fügte sie schnell hinzu.


Sie waren an der Stelle angelangt, die Sina beschrieben hatte und Buffy fand schnell eine Möglichkeit die Naht zu lockern... sie riss die Plane einfach auf.

 

„Ja natürlich weiß Giles bestimmt was er tut. Aber man kann nie vorsichtig genug sein. Ihre Anspielungen waren komisch. Entweder hatte ich nur das Gefühl oder diese Sina wusste über Giles und Ms. Calendar Bescheid. Und dass sie auch nicht  ganz mit offenen Karten gespielt hat, ist ja nichts neues. Irghs..,“ Xander machte ein besorgtes Gesicht. „Das Wortspiel hat sicher etwas zu bedeuten. Kartenlegen. Tarotkarten und das ausgerechnet von diesem Zigeunerstamm. Giles wird sicher durcheinander sein, wenn sie damit fertig sind.“

 

„Jetzt mach dir mal keine unnötigen Sorgen, um Giles. Er ist alt genug.“ Vorsichtig schob sie die Plane zur Seite.

 

„Ich mach’ mir vielleicht ein paar zu viel, aber du könntest dir überhaupt mal ein paar um ihn machen.“

 

Xanders Worte trafen, und Buffy stoppte kurz in ihrer Bewegung. Doch da sie nicht wollte, dass Xander recht bekam, schwieg sie und steckte ihren Kopf zwischen die Plane.  Was wusste Xander schon über sie und Giles? Das war in den letzten Jahren viel zu kompliziert geworden.
Sie blinzelte in die Dunkelheit hinter der Plane und schob sie schließlich ganz zur Seite. „Die Luft scheint rein zu sein,“ ignorierte sie vollkommen Xanders Worte und kroch als erstes hindurch.

Im Inneren überwältigte sie der Gestank von Pferd, Pferdemist und Tod. Sie standen beide in einer großen Lache Blut, die zäh geworden war. Fliegen summten laut um sie herum, die sich bei ihrem Mahl gestört fühlten.

 

„Ich mache keinen Schritte weiter,“ unterdrückte Xander einen Brechreiz und ließ Buffy vorgehen. Die Jägerin sah sofort, was sie suchten – ein Bündel Kleider in einer Ecke.

 

„Dann muss ich wohl?“ Sie kniete sich nieder und berührte sehr zögernd den Rücken oder das was einmal ein Rücken gewesen war, bevor irgendetwas ihn völlig zerfetzt hatte. Fleisch, Hautfetzen und Kleiderreste mischten sich und als Buffy daran zog, um die Reste des Mannes herumzudrehen, hörte sie ein nichts Gutes verheißendes, schmatzendes Geräusch. Buffy sprang entsetzt auf, als sie die zerfetzte Kehle sah, die leeren Augenhöhlen, die sie anstarten und die wenigen Reste, die einmal ein Brustkorb gewesen waren. Sie stolperte zurück und presste eine Hand vor den Mund, als ihr Blick weiter über den zerfetzten Körper glitt.

 

++++

 

In der Nähe von Clearfield, Pennsylvania
selber Morgen

Ein lauter Schrei hallte durch Luft, als Faith ausholte, und ihr Gegenüber dem Schlag nur mit Müh und Not ausweichen konnte.

„Faith, worum hatte ich dich gebeten?“, fragte Robin, drehte dabei den Holzstab, den er in der Hand hielt, und holte dann damit aus.

„Dass ich mich auf die Abwehr konzentrieren soll?“, antwortete Faith schnippisch und genervt, während sie sich unter dem Stab wegbückte und anschließend Robin mit einem leichten Fußtritt zu Boden brachte. Sofort sprang sie auf ihn, setzte sich auf sein Becken und drückte ihn an den Schultern zu Boden.

“Wächter ausgeschaltet... ist dieser Witz nun endlich vorbei, Mister Wood?“ fragte die Jägerin genervt.

Robin lag überrascht mit seinem Rücken auf dem kalten Boden. Da wollte er mit einer seiner Jägerinnen die Abwehr trainieren, und war selbst nicht in der Lage einen solchen Schlag vorherzusehen.

„Faith.. du weißt schon, worum es in der Übung ging?“, fragte Robin und lächelte sie dabei außer Atem an. Sie schwitzten beide und irgendwie ging es Robin durch den Kopf, könnte er diese Situation doch dazu benutzen, endlich das Eis zu brechen, das zwischen ihnen herrschte, seit Faith letzte Woche diesen Alptraum hatte.

„Ja.. ums passive Kämpfen.. aber was soll der Schrott? Wer kämpft schon nach Lehrbuch? Ich bin ne Jägerin, ich kämpfe nach Gefühl!“

„Oh ja.. Gefühle waren viele im Kampf..“, er lächelte sie an, und begann mit seiner rechten Hand nach ihrem Gesicht zu tasten, um ihr einige Haarsträhnen aus dem Blickfeld zu streichen.

„Denkst du nicht, es wäre endlich Zeit um..“, fragte er sanft und wollte sich nach oben drücken, um sie zu küssen.

“Nein, ist es nicht.. !“, antwortete sie schroff, doch in gewisser Weise hatte sie sich die Frage auch schon gestellt. Sie wollte sich ihm noch nicht vollkommen hingeben.. nicht nach dem Streit, den sie hatten. Nicht, bis er begriff, dass er nicht ihr Wächter sein konnte, dass sie ihn nicht als Wächter brauchte, sondern als Mensch.

„Ich sehe in deinen Augen etwas anderes..“, flüsterte Robin weiter, spannte seine Muskeln an, und brachte es zustande, sich nach rechts zu rollen, und Faith somit unter sich zu haben.

Er strich ihr wieder die Haare aus dem Gesicht, und diesmal ließ sie ihn gewähren, widerwillig. Er küsste sie, und sofort entbrannte in ihnen wieder die alte Leidenschaft.

Plötzlich drehten sie sich, und Faith war wieder oben, doch was machte das schon. Er hatte keine Lust mehr, mit ihr zu streiten, wer nun die Oberhand hatte. Der Streit war vergessen, das Eis gebrochen, und die Leidenschaft wieder gefunden.

 

++++


Universität
Willows Zimmer

"Na, das ist ja eine wirklich filmreife Geschichte," seufzte Willow. "Und wie weit bist du damit, diesen Knoten der Lachesis aufzulösen?"

"Knoten der was?" fragte Dawn. Mit Willow's Göttinnen kannte sie sich nicht übermäßig aus. "Ach so, ja. Mit Shin hab ich schon ansatzweise geredet, auch wenn ich noch nicht so genau weiß, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Mit Leroy werd' ich nie wieder ein Wort reden, und mit Andrew würde ich gerne reden, aber er will ja nicht! Ich hab bei ihm angerufen, hab aber nur Xander erwischt, und er wollte nicht ans Telephon kommen..."

"Wundert dich das?" fragte Willow zurück.

"Nein, eigentlich nicht." Dawn runzelte die Stirn. "Du meinst damit aber nicht, dass Andrew irgendwie...in mich...oh, du weißt schon, was ich meine..."

"Das halte ich für unwahrscheinlich." Willow überlegte, wie sie es Dawn erklären konnte. "Andrew hat dich sehr gern, aber nicht auf diese Weise. Ich weiß zwar nicht, inwieweit ihm das selbst klar ist, aber er ist..." sie suchte nach Worten, und ihre Miene hellte sich auf, als sie ein passendes Beispiel gefunden hatte. "Kannst du dich noch an die Zeit erinnern, als wir Buffy zurückbekommen haben? Gerade das erste halbe Jahr danach?"

Dawn verstand nicht wirklich, worauf Willow hinauswollte, und an diese - vielleicht schlimmste - Zeit ihres Lebens, wollte sie eigentlich nicht zurückdenken. "Natürlich erinnere ich mich," murmelte sie trotzig. "Es war grässlich. Buffy hat mir versprochen, dass sie für mich da ist, und sich um mich kümmert. Und doch hatte ich immer das Gefühl, sie ist so weit weg, sie lässt mich nur dann an sich ran, wenn es ihr grad in den Kram passt...."

Sie brach ab, und sah Willow erschrocken an. "Ist es das, was du meinst? Dass ich mich genauso verhalte, wie sie damals...aber das kann nicht sein, Will, ich bin nicht so, ich würde niemals..."

Anstelle einer Antwort zog Willow nur eine Augenbraue hoch, und Dawn wandte schuldbewusst das Gesicht ab. "Doch," murmelte sie leise, "ganz genauso hab' ich mich verhalten. Ich wollte mich wirklich um ihn kümmern. Mehr oder minder seit dem Videoabend, als er bei mir übernachtet hat, aber eigentlich auch schon davor. Und manchmal hab ich das auch getan, aber ebenso oft hab ich ihn vergessen, oder einfach beiseite geschoben. So wie auf dem Ball. Oder auch schon davor, wenn ich Besseres zu tun hatte, als mich mit ihm abzugeben..."

"Dawn, ich meine ja gar nicht, dass du dich 24 Stunden am Tag um ihn kümmern sollst," beruhigte Willow sie. "Es ist klar, dass du auch andere Freunde hast, und andere Dinge, die dir wichtig sind. Du solltest dir nur bewusst sein, was du für ihn darstellst, und dass viele Dinge, die dir nebensächlich erscheinen mögen, für ihn eine ganz andere Bedeutung haben können. Buffy hat dich auch nicht mit böser Absicht zurückgestoßen, es waren vielmehr eine Menge kleiner Dinge, und sie hat oft gar nicht verstanden, warum es dich so verletzt hat...."

Dawn seufzte, und vergrub das Gesicht in den Händen. "Wer hätte das gedacht? Klein-Dawnie, als große Schwester! Und sie ist tatsächlich genauso unfähig, wie Buffy!"

"Nicht unfähig," verbesserte Willow sanft. "Menschlich."

Sie schwiegen für eine Weile, und Dawn fragte sich, woher Willow das alles so genau wissen konnte. Von Xander war sie es gewohnt, dass er Dinge sah, die kein anderer wahrnahm, aber in diesem Fall schien sein inneres Auge irgendwie getrübt zu sein. Er, wie auch Buffy hatten die Gefühle zwischen Andrew und ihr total missverstanden. Aber Willow hatte erkannt, wie es wirklich war, vielleicht sogar besser, als Andrew und sie selbst..

"Ich weiß nicht genau, vielleicht war es euer Spiel mit den Fernsehhexen," entgegnete Willow, als Dawn vorsichtig nachfragte. "Andrew hat ja dich und Xander sozusagen als 'große Schwestern' adoptiert, und er kann seine Filmgeschichten manchmal sehr ernst nehmen. Oder es ist genau umgekehrt, er benutzt die Geschichten, weil er etwas nicht in Worten ausdrücken kann, oder möchte...."

"Batman und Robin," murmelte Dawn, doch als Willow sie fragend ansah, schüttelte sie den Kopf. "Nicht so wichtig..."

"Tatsächlich?" wunderte sich Willow. "Also, ich hätte ja eher auf 'Bonnie und Clyde' getippt, oder so, schließlich wollten sie gefährliche Supergangster sein, und nicht die langweiligen Guten. Aber was soll's, eigentlich war es auch nichts anderes, als Geschichten über Kätzchen und Delphine. Oder Amazonen..."

Dawn verstand nicht, was Willow meinte, und sie wollte auch nicht wirklich nachhaken. Die junge Frau schien für einen Moment lang durch sie hindurchzublicken, bevor sich ihre Augen wieder fokussierten. "Hast du eigentlich inzwischen mit Buffy oder Giles wegen deiner Kräfte geredet?"

Ein wenig verwirrt über diesen abrupten Themenwechsel stammelte Dawn: "Nein...nur mit Lily.."

 

„Lily? Du hast mit ihr über deine Jägerinnenkräfte geredet?“ fragte Willow verwundert. "Aber nicht mit Buffy, oder Giles?" Auch wenn sie der Wächterin große Sympathien entgegenbrachte, wäre es vielleicht besser gewesen, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.

„Wie denn? Er war nicht da und Buffy wollte in der Nacht nicht mit mir reden. Am liebsten hätte ich Buffy einfach gesagt, dass sie mich nicht immer beschützen und die große Schwester spielen soll. Nicht nur, dass es ziemlich nervt, es steht einfach immer so im Drehbuch: Sie hat Recht, ich Unrecht. Da sind ihr jegliche andere Fakten egal.“

„Ich denke einfach, jetzt da sie nicht mehr ‚die Jägerin’ ist, kommt sie sich schwächer vor, und hat Angst, dich nicht mehr beschützen zu können", überlegte Willow. "Früher, als sie noch die Einzige war, war es auch einfacher für sie. Jetzt will sie wohl noch weniger als vorher, dass du dich in Gefahr begibst. Buffy will nicht noch einen Verlust verkraften müssen. Außerdem weiß sie nicht, dass du nun auch einen Teil ihrer Kräfte in dir trägst...“

„Ich frage mich noch immer, wie ich es ihr sagen soll. Sie könnte doch total sauer reagieren, weil sie dann nicht mal mehr in unserer Familie die einzige Jägerin sein könnte." Ihr Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an. "Oder sie hat genug von der Sache, und liefert mich freiwillig irgendwelchen Dämonen aus oder so.“

Willow grinste. „Du redest Blödsinn, und das weißt du auch. Ihr werdet schon irgendwie damit klar kommen. Und ich denke, es wäre von Vorteil, wenn du es ihr so bald wie möglich sagst, oder willst du darauf warten, dass Lily es vielleicht Giles erzählt, und dieser dann deiner Schwester? Und ich denke, Buffy ist nicht die einzige Person, mit der du reden solltest...“

Dawn ließ einsichtig ihren Kopf hängen. Willow hatte ja recht. Als erstes würde sie Andrew aufsuchen. Ihr Problem war leichter aus der Welt zu schaffen, als Buffy, wie Willow es ausgedrückt hatte, einen erneuten Todesstoß mit der Wahrheit über ihre kleine Schwester zu versetzen.

 

++++

 

Sinas Zelt
etwas später...
Das Innere des Zeltes war dunkel gehalten. Nur ein paar Kerzen, die dazu einen süßlichen Duft verströmten, die elektrisch beleuchtete Kristallkugel auf einem Beistelltischchen und eine schwache Birne über dem Tisch in der Mitte, der mit Seidentüchern bedeckt war, spendeten das ganze Licht. In der Ferne war das Brummen eines Stromgenerators zuhören.
 
Auf dem Tisch vor Giles lagen die ersten beiden Karten, die Sina ihm nach traditioneller Legeart der Zigeuner als Pyramide offenbart hatte. Damit war Giles’ Wissen um Tarot und Legearten erschöpft. Er hatte zwar etwas mehr als ein Jahr lang Kunden die Decks verkauft, sowie diverse Bücher über die Legekunst, aber persönlich musste er sich damit nie ernsthaft befassen. Während Sina nach der dritten Karte griff, schweifte sein Blick über die Karte Die Acht der Kelche  und Der König der Schwerter. Sina hatte ihm damit gedeutet, dass er sich in einer Umbruchsphase befand, mit einer dunklen Zukunft. Darüber hinaus wäre er ein intelligenter Mensch, der leider durch seine Kopflastigkeit, dem Sarkasmus und Zynismus auf die Mitmenschen Gefühlskalt wirken konnte. Das war ihm nichts neues.

Sina drehte in diesem Augenblick Karte drei herum und ihre Blicke fielen auf die Abbildung von Schwertern.

 

Die Neun der Schwerter. Sie verrät uns, was Sie hinter Ihrer Gefühlskälte, ihrem Zynismus zu verstecken versuchen.“ Sie räusperte sich. „Soll ich... weitermachen.“ Ihr war nicht entgangen, dass der Mann langsam unruhig wurde, zog aber die falsche Schlüsse. Als Giles schließlich zögerlich nickte, fuhr sie fort. „Sie hatten viele schlaflose Nächte. Ein Ausdruck tiefer Sorge und Bedrückung. Vielleicht wegen eines schlechten Gewissens? Einer Lebenserfahrung existenzieller Bedrohung oder schmerzhafte Verluste. Die Karte zeigt die Ängste langer Nächte, in denen Sie, von Sorgen gequält, wachliegen und sehnsüchtig den Anbruch des neuen Tages erwarten. Dabei lässt diese Karte offen, ob es Gefühle der Schuld sind oder der Angst, die Sie angesichts einer schweren Aufgabe verzagen lässt, oder ob es sich um reale Bedrohungen und Existenzängste handelt.“ Sina sah mit gerunzelter Stirn auf.

 

++++

 

Highway/Interstate
Richtung Cleveland
selber Morgen

First I was afraid, I was petrified!

Kept thinkin' I could never live without you by my side

But then I spent so many nights thinking how you did me wrong,

and I grew strong, and I learned how to get along.


And so you're back from outerspace,

I just walked in to find you here with that sad look upon your face

I shoulda changed that stupid lock, I shoulda made you leave your key

If I had known for  just one second you'd be back to bother me.

 

Die lauten Klänge von Gloria Gaynors „I will survive“ dröhnten aus dem zerbeulten, hellblauen Chevi, der in diesem Moment über die Stadtgrenze von Cleveland raste. Hinein inmitten des Berufsverkehrs. Zäh und quälend rollten die Autos über den Stadthighway. Zur Linken lag der Eriesee auf dem trotz aufgegangener Sonne noch immer eine leichte Nebelschwade hing. Die Dächer der Skyline glänzten unter den morgendlichen Sonnenstrahlen und stachen dem Fahrer empfindlich in die Augen. Er blinzelte gegen das grelle Licht an...

 

....Sommer 2000...

...das grelle Deckenlicht sprang viel zu früh an und die Zellentüren wurde im ganzen Gebäude zeitgleich entriegelt. Wärter rannten in den Fluren umher, Soldaten nahmen mit ihren Waffen Aufstellung und durch die Lautsprecher wurde angewiesen, dass jeder Inhaftierte sofort auf den Flur hinauszutreten hatte.... ...

 

…Cleveland...

Go on now go, walk out the door.

Just turn around now, cause you're not welcome anymore.

Weren't you the one who tried to hurt me with goodbye?

You think I'd crumble? You think I'd lay down and die?

 

..Nur wenige Meter weiter begann der Stau. Eine Wagenkolonne rollte in die City. Die Musik nahm an Lautstärke zu, als der Chevi zum Stehen kam. Das Fenster auf der Fahrerseite war halb heruntergedreht und der Fahrer trotzte der morgendlichen Kälte.

Oh no not I! I will survive!

Oh, as long as I  know how to love, I know I'll stay alive.

I've got all my life to live,

And I've got all my love to give,

 I'll survive, I will survive!

 

Ein Helikopter kreiste über dem Stau und trotz Morgensonne hatte er seinen Suchscheinwerfer an. Der Lichtstrahl gleißte über die Frontscheibe des Chevis...

 

....Sommer 2000....

...helles Sonnenlicht brannte in den Augen der Inhaftierten -  Dämonen, Halbdämonen und Menschen –, die begleitet von entsicherten Waffen über den Hof getrieben wurden. Dort standen Lastwagen mit geöffneten Heckklappen bereit. Sie wurden hinaufgetrieben und die Anweisung sich zu setzen, wurde ihnen von irgendwo zu gebrüllt. Eine ungemeine Hektik hatte sich breit gemacht. ....

 

....ein einzelner Lastwagen rollte auf eine, kaum noch sichtbare Staubpiste durch die Wüste Nevadas mit unbestimmten Ziel. Als die Fahrspur nicht mehr zu erkennen war, bremste er ab und die Heckklappe wurde geöffnet. Ein Soldat sprang nach draußen, lud durch und hielt die Waffe ins Innere gerichtet. Ein Kamerad stand breitbeinig im Inneren, tippte eine der Personen mit dem Lauf an und zwang ihn aufzustehen. Mit einem Stoß des Kolbens in den Rücken wurde der Häftling nach draußen geworfen, landete im Staub und richtete sich mühsam auf. Als er seinen Kopf hob, blickte das angespannte Gesicht von Ethan Rayne auf den Lauf. Mit erhobenen Händen richtete sich Ethan ganz auf, trat ein paar Schritte weg vom Lastwagen und musste mit ansehen, wie der Soldat wieder aufsprang und der Wagen einfach weiterfuhr. In einer Staubwolke gehüllt stand Ethan alleine da, ohne Pass, ohne Papiere, ohne Geld und ohne Wissen was passiert war. Inmitten der Weite der Wüste und dabei verfluchte er nicht zum ersten Mal jenen Tag, an dem er nach Sunnydale zurückgekehrt war, um Rupert einen kleinen Streich zu spielen......

 

....Cleveland....

....... während um den alten Wagen die Fahrer nervös auf ihre Lenkräder trommelten und die Hupen betätigten, lehnte sich Ethan entspannt nach hinten – ein Lächeln umspielte dabei seine Lippen. Er war endlich am Ziel. Er hatte endlich gefunden, was er seit einem halben Jahr suchte – Ripper - Rupert und seine dämliche Jägerin. Mit beiden hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen. Nicht nur, weil er seit einem halben Jahr vergeblich versuchte, beide an einem Ort anzutreffen, sondern weil er wegen ihnen die Hölle auf Erden durchlebt hatte. Wahrscheinlich hatten sie keine Ahnung von den Tests im geheimen Militärgefängnis in der Wüste Nevadas, oder von den Tabletten, mit denen man ihn vollgestopft hatte, bis er davon abhängig wurde. Sicher wusste auch keiner der beiden, wie es war, einfach so ohne Papiere und Geld in der Wüste ausgesetzt zu werden, nur weil sich die Regierung keine ermordeten Inhaftierten erlauben konnte, wo es offiziell überhaupt keine gab. Alleine das Aufsehen darum, hatte ihm und hundert anderen Dämonen sowie Halbdämonen das Leben gerettet. Erklärungen hatte es natürlich keine gegeben. Später, viel später hatte Ethan mühsam herausgefunden, dass die Initiative aufgelöst worden war.

Doch das war Vergangenheit und Ethan versuchte, nicht weiter daran zu denken, um sich nicht den Tag zu vermiesen. Wobei.. daran denken würde er bald sehr oft müssen, wenn er seine Rache nahm. Eine späte Rache, aber auch das hatte seine Gründe: Eine lange Therapie, um die Alpträume los zu werden, eine Entziehungskur, um von den Tabletten los zu kommen und viele Monate, um seine magischen Kräfte wieder aufzuladen. An Selbstvertrauen hatte es ihm in der Zeit selbstverständlich nicht gefehlt. Und der Wunsch nach Rache hatte ihn zudem aufrecht gehalten.


Die Vorbereitungen hatten auch ihre Zeit gebraucht. Er wollte diesmal nichts dem Zufall überlassen.


Es war also nicht weiter tragisch, wenn er seine Gedanken auch weiterhin um den Tag der „Befreiung“ kreisen ließ, um die Strasse, die er endlich nach zwei Tagen fand, um den alten Farmer, der ihn auf seinem Pick-Up bis in die nächste Stadt mitnahm, um die Schwierigkeiten neue Papiere zu beschaffen oder um die Tatsache, dass Sunnydale nicht mehr da war, wo er es als Letztes verlassen hatte...

 

Oh no not I! I will survive!

Oh as long as I know how to love I know I'll stay alive,

I've got all my life to live,

And I've got all my love to give,

I'll survive, I will survive!

I'll survive.

 

++++

 

Messgelände.
Sinas Zelt.

Giles war ein wenig blass geworden, als ihm Sina die Karte gedeutet hatte und räusperte sich umständlich. „Uhm i-ich schätze, das bedeutet nichts Gutes?“ Natürlich tat es das nicht, beantwortet er sich die Frage selbst. Schmerzhafte Verluste? Oh ja... und wie viele. Und dabei dachte Giles nicht nur an die erst kürzlich von Caleb und dem Urbösen getöteten Kollegen. Es gab genug, die schmerzhafter waren, wenn er nur daran ansatzweise zurück dachte. Schlechtes Gewissen – Buffy und die vielen Dinge, die zwischen ihnen standen. Noch immer ungeklärt waren... er seufzte und das war Sina wohl Antwort genug. Sie legte ihre Hand auf das Deck und schüttelte den Kopf.

 

Sie sagte etwas, doch Giles in Gedanken versunken sah nur, wie sich ihre Lippen bewegten. Angst vor der Aufgabe... Bedrohungen... natürlich... er wusste um Vampire, Dämonen und die Last, die auf den Schultern junger Mädchen lag und auf denen ihrer Wächter oder dem was sich jetzt Wächter nennen durfte. Aber vor was sollte er Existenzängste haben? Das er es nicht schaffte, den Rat so aufzubauen, wie er es sich vorstellte? Das er versagte? Nichts hatte, auf was er in späteren Jahren zurückblicken konnte? Außer Einsamkeit, keine Besitztümer oder keine Erben, denen er die spärlichen Besitztümer vermachen konnte? Niemanden, der in seine Fußstapfen trat, um sein angefangenes Werk zu vollenden...

 

Sina wiederholte ihre Worte und Giles sah sie abwesend an. „Uhm.. Entschuldigung.. was haben Sie gesagt?“

 

 „Dass ich glaube, was die Karten enthüllen, tut Ihnen nicht gut. Wir sollten aufhören.“

 

„Nein.. Sie... ich glaube, Sie treffen die Wahrheit ganz gut. Ich möchte auch die anderen Karten sehen.“

 

„Gut... es ist Ihre Entscheidung...“

 

Giles nickte bedächtig, aber bestimmt und Sina zog die vierte Karte.

 

+++

 

Vor dem Pferdezelt
„Oh mein Gott,“ keuchte Buffy und rang nach frischer Luft. „So etwas habe ich bisher noch nicht gesehen.“

 

„Wirklich nicht?“ stöhnte Xander, der blass gegen einen Wohnwagen lehnte. „Ich meine, als Jägerin sieht man doch ziemlich vieles Erschreckendes. Und die Polizei spricht in der Presse von einem brutalen Serienmörder.. da war das doch zu erwarten.“ Xander klang ein wenig mitgenommen, aber auch gereizt.

Buffy sah müde zu Xander. Natürlich hatte er recht. Aber sie durfte nie vom Schlimmsten ausgehen, sonst würde sie noch am Ende Angst bekommen. Das stand einer Jägerin nicht besonders gut. Allerdings hatte sie vollstes Verständnis für Xanders Reaktion.

 

„Was um alles in der Welt haben Sie hier zu suchen!“

 

Xander und Buffy richteten sich erschrocken auf und sahen in Richtung der Stimme. Ein Mann Ende zwanzig stand mit wütendem Gesichtsausdruck da und versperrte den Durchgang nach vorne.

 

„Uhm... und was suchen Sie hier,“ versuchte es Buffy mit einem Gegenangriff.

 

„Ich sichere den Tatort und suche Spuren,“ er deutete zu dem Zelt. „Zudem bin ich für das Ganze hier zuständig und verantwortlich. Sie sollten von hier verschwinden, bevor ich noch auf die Idee komme, misstrauisch zu werden.“

 

„Haben’s schon kapiert, Sir,“ Xander versuchte es höflich und machte einen unsicheren Schritt auf den Polizisten in zivil zu. „Wir suchen nur jemanden.“

 

„Aha...,“der misstrauische Ausdruck blieb.

 

Buffy schob Xander nach vorne. „Wir sind schon weg.“ Sie drängte sich an dem dunkelhaarigen Mann vorbei, der mit seinem durchtrainierten Polizistenkörper nur langsam zur Seite wich. Sie sah seine Marke am Gürtel aufblitzen, und hatte es sehr eilig zu verschwinden.

 

„Wir können uns keine Fragen leisten,“ flüsterte sie Xander zu, als sie den Mann hinter sich gelassen hatten, welcher ihnen immer noch nachblickte. „Das hier ist nicht Sunnydale. Ich schätze hier laufen ein paar Dinge anders.“

 

„Okay. Dann lass uns schnell nach Giles suchen und von hier verschwinden,“ schlug Xander vor, und Buffy hatte keine Einwände.

 

++++

Sinas Zelt
Zwei weitere Karten waren zu der Pyramide hinzugekommen.  Giles war sich allmählich bewusst geworden, dass Sina ihn zum Narren hielt. Sie hatte ihn mit Absicht hierher gelockt. Daran bestand kein Zweifel. Sie versuchte, mit den Karten seine Neugier zu wecken, hatte ihn mit Andeutungen verwirrt und es stellte sich jetzt nur die Frage was sie von ihm in Wirklichkeit wollte.

 

Denn die Karten gaben keine einzige Antwort auf das, was sie versprochen hatte.

 

Trotzdem weilten seine Gedanken bei den Deutungen der Karten. So sehr er sich zur Vorsicht mahnte, so sehr hatte er sich von Sina in ihren Bann ziehen lassen. Karte vier, der Herrscher, hatte ihm verraten, dass seine Ziele durch Beharrlichkeit erreicht wurden, dass er sich durch den Halt an Strukturen, der Kontinuität und Sicherheit im Leben antreiben ließ. Attribute wie Ordnungssinn, Nüchternheit, Disziplin und Verantwortung, waren ihm ebenfalls nicht unbekannt. 

 

Die fünfte Karte, der Turm, hatte ihn dagegen wieder nachdenklich gestimmt. Nach Sinas Worten stand er dafür, dass eine gemauerte Sicherheit für ihn zusammengebrochen war. Er würde noch immer unter den Auswirkungen des Schocks leiden, wobei er langsam aber sicher auch erkennen würde, dass die gemauerte Sicherheit in Wahrheit eine Last gewesen sei, von der er nun befreit wäre. War der Rat wirklich in den Jahren zu einer Last geworden?

 

Falls er den Turm mit dem Rat gleichsetzte. Doch würde er sich dann die Mühe machen, ihn wieder aufzubauen?

 

„Dann wollen wir mal sehen, was Karte sechs uns gibt,“ durchbrach Sina seine Gedanken. Vielleicht Antworten auf die Frage was Ihnen die Zukunft bringt, was kommen wird.... hm..“

 

Sina drehte eine Karte mit zwei Kelchen herum. „Die Zwei der Kelche.“ Sie lächelte wissend. „Sie dürfen sich freuen.. wie es scheint, wird ihr Liebesleben bald beflügelt oder aber eine andere, ihnen wichtige Person wird sich mit Ihnen aussöhnen. Die Hauptbetonung dieser Karte liegt zweifellos im persönlichen Bereich, wo sie Flirts, spontane Verliebtheit, ein glückliches Wiedersehen oder den Beginn einer sehr liebevollen Beziehung oder Freundschaft anzeigt.“

 

„Ah.. uhm,“ Giles räusperte sich verlegen. Die Karte versprach natürlich zur Abwechslung einmal nicht nur Schlechtes. Aber Giles wollte nicht allem Glauben schenken, was Sina offenbarte. Eine Bekanntschaft zu machen, fiel nicht schwer, dafür brauchte man keine Karten. „Gut... dann die letzte Karte?“

 

Sina hatte bei Giles Vorschlag genickt und mit einem „Einverstanden“ offenbarte sie die letzte Karte. „Ah ja, der Ritter der Schwerter.“ Sinas Stirn bewölkte sich und Giles sah sie besorgt an. „Die Antwort auf das, was Sie zu Boden zwingt, und was es für Sie bedeutet.“

 

„Wieder etwas Schlechtes?“

 

„Sehr schlecht,“ sinnierte Sina und sah düster auf. „Er steht für eine Atmosphäre von Frost, Schärfe, Arglist, Konflikten und Streitigkeiten. Hin und wieder bedeutete er auch Abkühlung, für ein Umfeld von Klarheit und nüchterner Erkenntnis. Das bedeutet für Sie kühle Distanziertheit, scharfe Auseinandersetzungen, Gerissenheit, zynischer Spott und bittere Ironie. Deshalb ist der Ritter der Schwerter oft ein Vorbote von Trennungen, Zwietracht, messerscharfer Wortgefechte und übler Gemeinheiten.“

 

„Nun, vorausgesetzt, ich glaube diese Dinge, dann kann ich mich über Erfolg, eine neue Beziehung freuen, wobei Betrug und Streiterein das Gefühl von Niederlage vermitteln, während ich meine Ziele erreiche und alten Ballast los geworden bin?“, fasste Giles das Ergebnis zusammen und versuchte, nicht zu zynisch zu klingen.

 

Sina nickte und räumte dabei die Karten zusammen.

 

„Okay... uhm, und was hat das mit dem zu tun, was Sie vorhin andeuteten?“ Eine misstrauische Falte bildete sich auf Giles Stirn.

 

„Oh.. hat es Ihnen denn nicht geholfen über ein paar Dinge nachzudenken, die Sie aus der Welt schaffen könnten, damit es Ihnen wieder etwas besser geht? Gefühlsmäßig?“ Sina schob die Schublade zu und wandte sich Giles zu.

Er nickte langsam, rieb sich dann die Stirn und sah zu der Zigeunerin zurück. „Sie hatten allerdings Antworten versprochen!“
 

„Sie haben sie bekommen. Sie müssen sie nur richtig deuten.“

 

„Hören Sie auf mit Ihrem aufgesetzten mystischen Gerede,“ Giles wurde ungeduldig. Sina sah überrascht zu ihm. „Ich bin kein Kunde, von dem Sie sich Geld versprechen. Sie haben mich hierher gelockt. Also?“
 

Sina lachte zu Giles Erstaunen auf. „Sie sind wirklich ein kluger Mann. Und Sie wissen, was Sie wollen. Nun gut... sind Sie bereit für die Sondervorstellung?“

 

„Welche Sondervorstellung...“

 

Sina stand auf und holte ein neues Deck. Giles’ Frage blieb unbeantwortet. Zunächst. Sina nahm wieder Platz und ein stetiges, prasselndes Geräusch von oben, ließ Giles vermuten, dass trotz des guten Wetters am frühen Morgen, der späte Herbstregen eingesetzt hatte.
 

„Ich werde Ihnen jetzt fünf Karten legen. Vier davon stehen für Personen in Ihrem Leben. Personen, die Ihnen sehr am Herzen liegen. Die Karten werden keine Namen nennen können, aber Sie sollten in der Lage sein, ihre Lieben anhand der Attribute zu erkennen.. Und die letzte Karte, die ich aufdecke, wird Ihnen zeigen, was die Verbindung zwischen diesen Personen sein wird, das Schicksal, welches sie bereits geteilt haben, oder noch teilen werden.“
 

„Ich verstehe nicht, was das alles mit dem Monster auf sich hat? Oder mit mir und...“ , Jenny, lag ihm auf der Zunge. Aber er verbot sich ihren Namen auszusprechen. Er wollte nicht wirklich wissen, was Sina über sie wusste. Er wollte Jenny im Gedächtnis behalten und sie nicht durch das Bild der „fremden“ Person namens Janna ersetzen.

 

„Ich lege Ihnen die Karten, damit Sie ein paar Dinge erkennen und die Zukunft in die Hand nehmen können. Falls es nicht schon zu spät ist. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“ Sina hob die Karten fragend in die Höhe. Giles nickte resigniert und Sina nahm die erste Karte vom Stapel. Langsam verwirrte ihn die Situation und er konnte nicht anders, als sich fügen.

 

„Die Kaiserin,“ kommentierte Sina die Karte und legte sie vor Giles ab. „Eine Person in Ihrem Leben, voller Liebe und Hingabe, die aber auch zerstörend auf ihr Leben einwirkte.“ Die zweite Karte folgte. „Der Bube der Stäbe,“ Sina legte ihn neben die Kaiserin. „Jemand ist Ihnen begegnet, als Sie ausbrechen wollten, etwas erleben wollten. Bereit waren für das Abenteuer bereit. Risikofreude spielte eine Rolle.“

 

++++


Cleveland
Motelanlage „Days Inn“
Etwas später

Der blaue Chevi rollte auf den, vom plötzlichen Regenschauer überfluteten Parkplatz des „Days Inn“. Ethans Augen suchten dabei wachsam das Gelände ab. Seit seinen Erlebnissen war er misstrauischer geworden. Doch der Ort schien perfekt für ihn zu sein. Sein Wagen war von der Strasse aus nicht zu sehen, denn man musste schon am Hauptgebäude herumfahren, um auf den Parkplatz zu gelangen. Zudem war das Motel eines jener Art, bei dem die Preise niedrig waren und das Personal nicht großartig an den Kunden interessiert zu sein schien, so lange das Trinkgeld stimmte.

Vor der Moteltüre 16 parkte er, und griff nach dem Schlüssel auf dem Beifahrersitz. Er hatte für einen Monat im Voraus bezahlt und war damit alle Sorgen los. Nachdem Ethan sich vergewissert hatte, dass es nicht mehr regnete, stieg er aus,  schloss die Tür auf und betrat wie erwartet, ein kleines, miefiges Zimmer. Das Licht wurde von den vorgezogenen Vorhängen draußen gehalten. Seine Füße gingen über einen viel zu dicken und flauschigen Teppichboden auf ein Bett zu, das schon einige Jahre mitgemacht zu haben schien. Die Tapete war abgeschossen und die Einrichtung ließ die Vermutung zu, dass der Raum irgendwann in den 70er Jahren eingerichtet worden war und nie eine Renovierung erlebt hatte. In der Luft hing schwer der Duft von Reinigungs- und Desinfektionsmittel und die Klimaanlage summte laut.

 

Es war Ethan vollkommen unverständlich, wie man bei diesen Außentemperaturen eine Klimaanlage laufen lassen konnte. Er stellte die Anlage ab, ließ die Vorhänge zugezogen und ging zurück zum Wagen.

 

Er öffnete den Kofferraum, holte einen Koffer und eine kleine Tasche hervor. Als er sein Gepäck im Motelzimmer untergebracht hatte, kam der Chaosbringer zurück, um einige Kartons in das Zimmer zu schleppen. Schachteln, die mit kleinen Plastikbeuteln, Kerzen und Büchern beladen waren. Sobald er alles im Zimmer verstaut hatte, griff er im Freien nach einem Zettel in seiner Hosentasche. Darauf stand eine Kontaktadresse, bei der er Informationen bekommen sollte. Er faltete den Zettel auf und las „Black Pearl“.  Eine Bar am Hafen. Ethan lächelte, schloss die Zimmertür ab und stieg wieder in den Wagen.

 

++++


Sinas Zelt

„Die Königin der Stäbe,“ Sina offenbarte die dritte. „Jemand mit sehr viel Selbstvertrauen, Stolz und Unabhängigkeit kreuzte ihren Weg. Klug, aber nicht unbedingt bereit, sich unterzuordnen, nicht immer fähig, Kritik anzunehmen. Lebendig und willensstark, unternehmungslustig.“ Sina sah kurz zu Giles. „Die Karte hat auch eine negative Seite.. die Königin steht auch für die Dramenkönigen, weil sie ein Talent zum Schauspielern hat.. Ihnen also etwas vorgaukelte.“ Zum ersten Mal erkannte Giles ein Muster in den drei Karten. Doch der Gedanke verschwand so schnell wie er gekommen war.

 

„Die vorletzte Karte,“ drohte Sina und deckte den Mond auf. „Wechsel und Wandel. Sie lebt in Ihrer Welt, und ist doch nicht von dieser Welt......Und nun die Karte, die offenbart, was alle vier Personen gemeinsam haben. Sind Sie bereit?“

 

Giles nickte kräftig und wappnete sich auf die „sensationelle“ Enthüllung. Das Muster, das er zu erfassen geglaubt hatte, verwehrte den Zugang und Giles begann sich gegen das zu sträuben, was Sina legte und deutete. Sie hatten so ganz andere Sorgen in Cleveland...

Sina hob die Karte in die Höhe und drehte sie herum. Sie erstarrte und Giles Blick wanderte zu der Abbildung darauf:

Der Tod.

 

 

 

 

++++


Xanders und Andrews Wohnung

Selber Morgen, etwas später
"Zuerst die gute Nachricht, ich denke nicht, dass er dir noch böse ist. Es gibt allerdings auch eine schlechte - er ist wieder im Schmollmodus, und du wirst etwas Zeit brauchen, um zu ihm durchzukommen."

Aufmunternd lächelte Xander Dawn an, und trat beiseite, um sie in die Wohnung zu lassen. Sie wusste nicht so recht, ob sie erleichtert, oder besorgt sein sollte. Immerhin hatte Andrew sich geweigert, ans Telephon zu kommen, als sie vor einigen Tagen endlich den Mut gefunden hatte, anzurufen, und das war ein schlechtes Zeichen. Andererseits, vielleicht hieß es auch nur, dass sie herkommen, und persönlich mit ihm reden sollte. Bei Andrew konnte man das nie so genau sagen, seine Denkweisen waren so kompliziert, wie die eines Mädchens. Mindestens...

"Andrew?" Xander öffnete die Tür zum Wohnzimmer. "Wo steckst du? Dawn ist hier!" Er sah sich um, doch von seinem Mitbewohner war keine Spur zu entdecken. Das Zimmer war leer, obwohl noch der Fernseher lief und eine zerknautschte Decke auf dem Sofa lag. Auch ein paar ungeöffnete Chipstüten konnte Dawn erkennen, und auf dem Boden vor dem Fernseher lag der Dinosaurier in seine Einzelteile zerlegt.

"Ist er vielleicht draußen?" wunderte sich Dawn mit einem Blick auf die angelehnte Balkontür.

"Draußen?" fragte Xander verwundert. "Bei dem Wetter?" Mit ungläubigem Blick riß er die Balkontür auf, und stürmte hinaus. "Andrew, du hast sie doch nicht mehr alle, du holst dir den Tod!"

Einen Moment später kam Xander ins Wohnzimmer zurück, und schob einen klatschnassen, zitternden Andrew vor sich her. "Was soll der Blödsinn, verdammt, willst du unbedingt krank werden?" schimpfte er, doch Andrew schien es kaum wahrzunehmen, er blinzelte so verwirrt, als sei er soeben aus einem Traum erwacht. Seine blassen, kältestarren Finger umklammerten irgend etwas, es schien eine Kerze zu sein, aber Xander entwand sie ihm, um ihm kräftig die Hände warm zu reiben. "Dawn, holst du bitte einen Trainingsanzug für ihn aus der Kommode? Unterstes Schubfach!"

"Lass mich!" Andrew funkelte Xander an und riss sich von ihm los. "Hör auf, mich wie ein Kleinkind zu behandeln." Er marschierte zur Kommode hinüber, kramte frische Klamotten daraus hervor, und verschwand mit einem letzten wütenden Blick auf Xander in Richtung Badezimmer.

"War das nötig?" fragte Dawn leicht vorwurfsvoll. "Musstest du ihn so anschnauzen?"

"Dawnie, ich hab Angst, okay?" Xander schloss die Balkontüre, und stellte die heruntergebrannte Kerze auf dem Tisch ab. "Wenn er da draußen hockt, und seine Zwiegespräche mit dem Universum führt, kann er alles um sich herum vergessen. Und wir wohnen schließlich im vierten Stock! Und ich weiß, ich bin nur ein dummer Zimmermann, der keine Ahnung von Religion und höheren geistigen Dingen hat, aber ich bilde mir ein, dass Warren und Jonathan ihn hier drin im warmen Wohnzimmer genauso gut hören können, wie draußen im strömenden Regen!"

"Er redet mit Warren und Jonathan?" fragte Dawn verwundert zurück. "Wie denn, ist es eine Art Zauber?"

Xander schüttelte den Kopf. "Nein, es ist dasselbe, wie wenn du mit deiner Mom sprichst."

"Ach so." Einen Moment lang schweiften ihre Gedanken ab, bevor sie wieder in die Gegenwart zurückkehrten. "Aber dann glaub ich nicht, dass du dir deswegen Sorgen machen musst."

"Das ist es ja auch nicht." Xander seufzte. "Was mir Sorgen macht ist, wenn ich versuche, mit ihm zu reden, und nicht an ihn rankomme. So wie heute. Und ja, dann schnauz' ich ihn an. Mir ist es lieber, er ist sauer auf mich, als dass er nichts von der Welt mitbekommt."

Dawn senkte den Blick, sie konnte ihr schlechtes Gewissen beinahe körperlich fühlen. Mit ihrem Verhalten hatte sie nicht gerade dazu beigetragen, Andrew zu helfen. Ihn erst einzuladen, und dann sitzen zu lassen war so ziemlich das Gemeinste, was sie ihm hatte antun können. Kein Wunder, dass sie damit böse Erinnerungen heraufbeschwor...

"Ich bin ja gar nicht auf dich sauer," sagte Andrew leise von der Tür her. "Ich hab einfach nur einen total schlechten Tag. Und deswegen brauchst du nicht gleich zu glauben, dass ich vom Balkon falle!" Vorwurfsvoll blickte er Xander an, während er ins Zimmer tapste. Er trug jetzt einen warmen Trainingsanzug, einen dicken Wollschal um den Hals, und - seinem Gang nach zu schließen, mehrere Paar Socken übereinander.

Im ersten Moment hatte Dawn gehofft, dass er mit dem Nicht-sauer-sein vielleicht sie gemeint hatte, aber das war natürlich ein Trugschluss. Andrew beachtete sie überhaupt nicht, er schlurfte an ihr vorbei zum Fernseher, und begann die Einzelteile des Dinosauriers zusammenzutragen. Dawn sprang auf, um ihm dabei zu helfen.

"Ich mach euch Tee," schlug Xander vor, und zog sich auf Zehenspitzen in die Küche zurück.

Dawn schnappte sich ein Dinosaurierbein, gerade als Andrew danach greifen wollte. "Los, sag schon, dass ich das gemeinste Mädchen der Welt bin!"

Andrew sah sie böse an. "Du kannst dir Platz zwei mit Kennedy teilen!"

"Nur Platz zwei? Dann lass mich wenigstens böser als Kennedy sein, okay?" Dawn wollte das Bein in den Rumpf stecken, den Andrew in der Hand hielt, doch er schüttelte den Kopf. "Das gehört da nicht rein! Das ist das Vorderbein!" Er dreht den Rumpf richtig hin. "Jetzt kannst du!"

"Es tut mir echt wahnsinnig leid, okay?", versuchte sie sich zu entschuldigen. "Ich hab mich wie ein totaler Idiot benommen! Ich weiß, dass ich dich verletzt habe, aber du musst mir glauben..."

"Hol den Schwanz, er liegt unter dem Tisch!"

"Okay, okay, ist ja schon gut.....Hier!" Sie befestigte das nächste Stück Dinosaurier, und versuchte es dann ein weiteres Mal: "Darf ich dir wenigstens erklären, was schiefgelaufen ist?"

"Nein. Such lieber mit nach den restlichen Beinen! Ich hab keine Ahnung, wo sie gelandet sind!"

Wenn's weiter nichts war! Dawn seufzte und begann neben ihm auf dem Teppich herumzukrabbeln. Ein Bein fand sich hinterm Sofa, das andere lag neben dem Fernseher. Das vierte und letzte hatte der Dinosaurier noch nicht gehabt, aber..." Sie lächelte leise....

 

"Es hat nichts mit dir zu tun," sagte Andrew schließlich, und stellte den Dinosaurier aufs Regal zurück. "Das mit dem schlechten Tag, mein ich. Natürlich war das mit dem Ball gemein von dir, aber du brauchst nicht zu glauben, dass du daran schuld bist. Weißt du, es ist längst nicht mehr so schlimm, wie früher, nein...eigentlich sollte ich sagen, es ist alles schon viel besser, aber es ist immer noch schwierig...."

"Was genau meinst du?" fragte sie leise. "Geht es um das, was du mir über Batman und Robin erzählt hast?"

Andrew schüttelte den Kopf. "Nein, ich grüble jetzt nicht mehr darüber nach, ob Warren mich verlassen hat, oder nicht. Das ist vorbei. Du hast gesagt, ich soll mich an das halten, was ich wirklich glaube, und ich glaube, er wollte mich bei sich haben, und er wäre zu mir zurückgekommen, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte. Xander sagt zwar, das wär’ Selbsttäuschung, aber soll ich denn bis in alle Ewigkeit grübeln, nur weil er eine andere Meinung hat? Oder soll ich ihm vielleicht nach dem Mund reden, und überhaupt keine eigene Meinung haben?"

"Nein, natürlich nicht," beeilte sie sich zu sagen. Selbst wenn Andrew vielleicht unrecht hatte, was Warren anging, so war das jetzt nicht mehr wichtig. Manchmal gab es eben keine einzig wahre und richtige Antwort auf eine Frage, und dann musste man irgendwann einen Schlussstrich ziehen, wenn man sich nicht selbst verrückt machen wollte. Und falls Andrew das gelungen war, hatte er ein Problem weniger, das ihn belastete.

"Was ist es dann?" fragte sie leise. Sie hob die Kerze auf, die auf dem Tisch stand, und betrachtete sie. "Ist es das, worüber du mit Warren und Jonathan geredet hast?"

Er warf einen Blick zur Küche, und vergewisserte sich, dass die Türe geschlossen war. "Ich hab' mit Anya geredet," sagte er schließlich, und Dawn stieß überrascht die Luft aus. "Ich war nicht sehr nett zu ihr. Ich bin sauer auf sie, weil sie das für mich getan hat, weil sie und Xander doch noch soviel vor hatten, und ich....ich weiß ja nicht einmal wozu ich überhaupt noch gut bin...."

"Hör auf solchen Unsinn zu reden," unterbrach sie ihn wütend. "Du bist hier, und du lebst, und das ist auch richtig so. Du bist kein blöder Roboter, der nur darauf programmiert ist, eine einzige Person glücklich zu machen, und du hörst nicht auf zu existieren, nur weil diese Person nicht mehr da ist. Du existierst für dich selbst. Und du kannst noch so vieles mit deinem Leben anfangen! Hab ich mich klar ausgedrückt?"

"Was ist, wenn Xander glaubt, dass es meine Schuld war?"

"Das würde er niemals tun, Andrew! So was darfst du nicht mal von ihm denken!" Dawn's Stimme überschlug sich fast. "Er hat dich bei sich aufgenommen! Er kümmert sich um dich! Er tut alles, damit du dir ein richtiges Leben aufbauen kannst!"

"Es war dumm von mir, so was zu denken," murmelte Andrew. "Entschuldige bitte."

"Schon klar." Sie lächelte. "Und weil wir gerade beim Entschuldigen sind, es tut mir wirklich, wirklich leid, dass ich dich auf dem Ball hab' sitzen lassen. Ich wollte dir schon die ganze Zeit etwas geben, das ich dir mitgebracht habe!" Sie kramte etwas aus ihrer Tasche hervor. "Hier! Es hat mich siebzehn Packungen Cornflakes gekostet, und Buffy und Giles werden mich dafür umbringen! Also wisse es zu schätzen!"

Sie überreichte ihm einen kleinen grünen Dinosaurierkopf mit langem Hals, und Andrew blieb der Mund offen stehen. "Du hast wirklich...?"

"Wirklich," bestätigte sie.

"Du bist wundervoll!" Er warf sich ihr an den Hals, dass ihr die Luft wegblieb, und rannte dann gleich zu Xander in die Küche, um ihm das Geschenk zu zeigen. Einen Moment später steckte er wieder seinen Kopf ins Wohnzimmer: "Hey, Piper! Wenn du mir noch was von Leo erzählen willst, musst du dich beeilen, denn Prue wird gleich mit dem Tee hier sein!"

Dawn seufzte. "Leroy war kein Leo, sondern ein Reinfall. Aber vielleicht hab ich Leo trotzdem getroffen, wer weiß?"

Andrew kam wieder angelaufen. "Hey, spann mich nicht auf die Folter, sonst bin ich gleich wieder beleidigt," drohte er.

"Mach ich nicht," versicherte sie. "Darf ich jetzt immer noch dein Mond sein?"

Er beeilte sich zu nicken, und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

 

++++

 

Vor Sinas Zelt
Giles trat aus Sinas Zelt und stellte überrascht fest, dass der Himmel bewölkt war und ein paar Wassertropfen von der Zeltplane abperlten. Es schien tatsächlich geregnet zu haben. Wie lange war er nur in dem Zelt gewesen? Minuten oder Stunden? Wo waren Xander und Buffy geblieben?


Die letzte Karte schien ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Er wollte nicht wissen, ob sie wirklich das bedeutete, was sie darstellte und deshalb hatte Giles es ziemlich eilig gehabt, an die frische Luft zu kommen.

 

Ein tiefer, krächzender Schrei ließ ihn aufblicken. Eine Krähe flog von der Zeltstange auf und verlor eine Feder, die Giles zu Füßen flatterte. Er bückte sich danach und hob die schwarze Feder auf. Sie glänzte vor Feuchtigkeit und hatte dabei etwas Einfaches und Schönes an sich. Etwas an das sich Giles halten konnte. Das dort drinnen war unheimlich gewesen und Sinas entsetztes Gesicht, hatte ihm den meisten Schrecken eingejagt. Der Tod - vier Personen, verbunden durch den Tod. In Gedanken fluchte Giles nicht sonderlich schön auf britisch und verwünschte sich für den Entschluss, Sina in das Zelt gefolgt zu sein. Nun waren seine Gedanken doch abgelenkt und er wusste noch weniger darüber, wieso Sina ihm so bereitwillig die Karten gelegt hatte, wie zuvor.


+++

Hafen, Dämonenbar
Die „Black Pearl“ schaukelte leicht unter eine Welle, die ein großer Dampfer verursachte, der gerade auslief. Ethan lief um Gleichgewicht kämpfend, über die feuchte Reling und sprang an Board. Er blickte in das Führerhäuschen, konnte aber niemanden entdecken. Kurzentschlossen packte er nach dem runden Griff der Bodenluke und verschwand in die Tiefe. Da es der einzige mögliche Zugang war, hatte er nicht lange gezögert.

 

„Zum Teufel,“ murmelte der Chaosbringer überrascht, als sich vor ihm die Bar erstreckte. Um die Uhrzeit war sie nicht besonders stark besucht, aber selbst die wenigen Gäste machten Ethan sofort klar, was für eine Bar vor ihm lag. „Dämonen,“ murmelte er weiter und hoffte, er wusste was er hier tat. Die Luft war verraucht und abgestanden, aber die Deko hatte etwas, fand Ethan. Schließlich ging er mutig auf die Bar zu und lächelte sein breitestes, schmierigstes Lächeln, das er auf Lager hatte.

 

Der Dämon hinter der Bar, mit seinem Geweih auf dem Kopf und den hängenden Lefzen, der platten Nase, beäugte ihn misstrauisch. Davon ließ sich Ethan jedoch nicht einschüchtern. Die wenigen anwesenden Dämonen blickten neugierig auf, sahen aber gleich wieder zur Seite. Offensichtlich war ein Mensch nichts Neues in dieser Bar. Ein gutes Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass er hier auch wieder lebend herauskam. Außer man sah Menschen hier unten nur, wenn man sie in der Kombüse zubereitete. Wobei.. genauer darüber wollte er jetzt nicht nachdenken.

 

„Ein Bier?“, bellte ihn der Barkeeper an und Ethan zog die Stirn kraus.

 

„Ich schätze Sie zapfen alles, nur keine Guiness?“, dabei zog er sich einen Barhocker heran.

 

„Bier oder nich’?“ Der Dämon war die Ruhe an sich.

 

Ethan seufzte. „Dann eben Bier. Und alles was Sie so über die Jägerin und ihren Wächter wissen.“

 

++++

 

Sinas Zelt
Sina saß am Tisch und ihre Augen blickten noch immer starr zum Ausgang, durch den Giles gerade gegangen war. Eine Gestalt trat hinter ihr aus den Schatten der Stoffbahnen, die das Zelt dekorierten. Lange, schwarze Flügel lagen um den geschmeidigen Körper der Frau, wie ein Mantel und das schmale, asiatische Gesicht hatte einen zufriedenen, menschlichen Ausdruck angenommen.

 

„Du hast deine Sache sehr gut gemacht.“ Die Stimme war überraschend weich.

 

Sina ließ nur ein leises Ächzen hören, drehte sich aber nicht herum. Sie wusste nur zu gut, wer hinter ihr stand.

 

„Das wird ihn eine Weile beschäftigen...“

 

Sina drehte sich nun doch langsam herum und blickte direkt in die Augen der Dämonin. „Unser Handel ist schlicht gewesen. Es war nie die Rede davon, dass ich ein solches Schicksal legen würde, das....“

 

Die Gestalt hob die Hand und brachte damit die Zigeunerin zum Schweigen. „Du wolltest meine Hilfe bei der Suche nach dem Mörder deines Neffen. Ich wollte ein wenig Ablenkung für den Wächter...“, Sina schien sich wieder etwas zu entspannen, als sie vernahm, dass der Deal noch immer zustande kam. Sie stand auf und kehrte der Frau den Rücken. „Ich hätte eine Adresse, an die du dich wenden könntest“... dabei trat die Frau lautlos hinter Sina.

 

Plötzlich plusterte sie ihr Gefieder auf und ihr Gesicht verwandelte sich. Federn sprossen, ein Krähenschnabel fuhr knapp über dem menschlichen Unterkiefer aus der Haut. Sina fuhr herum und ihre Augen nahmen einen panischen Ausdruck an. Doch ehe sie schreien konnte, machte die dämonische Gestalt einen raschen Schritt nach vorne und tötete die Zigeunerin mit einer einzigen, schnellen Bewegung. Ihr Schnabel hatte Sina den Hals von links nach rechts tief aufgeschlitzt. Sinas Körper fiel nach vorne auf den Boden, während ihre Blut und damit auch ihre Lebenskraft die Zeltplane unter ihr tränkte. Die Dämonin verwandelte sich vollständig zurück in eine Krähe, die aus dem Zelt hüpfte und in den Himmel aufstieg.

 

 

AKT 2


Weihnachten 1964

Das Taxi fuhr auf der von Eis und Schnee bedeckten Straße an und zurück blieb ein dunkelhaariger, etwa zehn Jahre alter Junge, der in seinem dunkelblauen Wollmantel mit Schulemblem auf der linken Brustseite, dem Schal in den Schulfarben, der Mütze und den Handschuhen der Kälte zu trotzen versuchte, die ihn seit seiner Ankunft am Bahnhof gepackt hatte. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass er dort unerwartet niemanden angetroffen hatte, der ihn wie gewöhnlich abholte und er eine Stunde lang auf dem Bahnhof herumgestanden hatte.

 

Unschlüssig darüber, was er tun sollte. Zwar waren seine Anweisungen, was er in einem solchen Fall zu tun hatte, ziemlich klar, aber da auch zuhause niemand auf seine telefonische Versuche reagiert hatte, fühlte er sich hilflos. Dazu waren Gefühle der Sorge hinzugekommen, bis ihm die Idee mit dem Taxi gekommen war, in das er sein restliches Taschengeld investieren musste.


Jetzt stand er im Gartentor und sah unschlüssig zu dem weiß getünchten Haus mit dem verschneiten Vorgarten, in dem er erst noch in den letzten Ferien bei sommerlichen Temperaturen mit seinen Plastiksoldaten und Kampffliegern Schlachten geflogen war.

 

‚Es gibt sicher eine Erklärung’, beruhigte sich der Junge und ging weiter.

Die Sandsteinplatten vor ihm waren stellenweise vereist und rutschig. Er hatte Mühe, mit seinem Gepäck das Gleichgewicht zu wahren und war heilfroh, als er die Treppen erreichte, die zur Haustüre und dem überdachten Vorplatz führten. Drinnen im Warmen stand bestimmt schon eine Tasse heiße Schokolade für ihn bereit  und sein Vater oder seine Mutter warteten mit der Erklärung.


Mit den Zähnen zog er sich den Wollhandschuh von der rechten Hand und kramte nach dem Hausschlüssel. Er stieß die Tür mit der Schuhspitze auf und zog den Koffer über die Türschwelle.

 

Drinnen war es überraschend kühl und ungewöhnlich ruhig. Von der ungewohnten Atmosphäre stark beeindruckt, unterließ es der Junge nach seinen Eltern zu rufen. Statt dessen stellte er seinen Koffer in der Diele ab, lief über den Flur in das Wohnzimmer, um nach ihnen zu suchen. Kaum war er durch die Tür gegangen, bekam er den zweiten Schock an diesem Tag – in der gewohnten Ecke stand kein Weihnachtsbaum. Aber kein Baum bedeutete kein Weihnachten und das wiederum hieß keine Geschenke.

 

Durcheinander und mit vielen Fragen auf der kleinen Seele, lief er in die Küche. Hier roch es nicht wie gewöhnlich um diese Zeit nach Tee, Keksen oder dem Braten für den Abend. Die Küche war ungemütlich kalt.


Wenn niemand hier war, hatten ihn seine Eltern am Ende doch vergessen? Die Panik, die sich bei dem Gedanken breit machte, besiegte die Angst, die Tür zum Arbeitszimmer seines Vaters gegen all die bekannten Vorschriften – nur zu stören, wenn es sein musste, vorher anzuklopfen, zu warten, bis man ihn hereinrief – aufzureißen.

 

Überrascht stoppte er auf der Schwelle. Sein Vater war doch anwesend und sah missmutig hoch. Der Blick hellte sich schnell auf, als er den Jungen erkannte. Der Junge stellte zwei Dinge fest, die so gut wie unmöglich an seinem Vater waren... nachlässige Kleidung und fehlende Rasur.
 

„Du meine Güte, Rupert... ist heute schon der 24.? Himmel ja,“ sein Vater blickte auf den Kalender an der Wand und rieb sich die Stirn. „Ich habe ganz die Zeit vergessen.“
 

Rupert stand noch immer im Türrahmen und spürte einen dicken Kloß im Hals. Wie konnte man Weihnachten vergessen? Wie konnte man IHN vergessen? Er erwartete keine tröstende Worte oder Umarmung von seinem Vater. Im Gegenteil, es hätte ihn viel mehr irritiert, wenn es die seltene Geste der Zuneigung gegeben hätte, trotzdem fühlte er sich in diesem Moment verloren und hätte gerne einen besseren Grund für das Vergessen gehört.

Sein Vater blickte ins Leere und erst nach ein paar Sekunden winkte er Rupert in das Zimmer. „Rupert, es ist etwas passiert. Setz dich bitte.“ Als hätte er das nicht schon geahnt. Die wenigen Schritte zu dem Sessel vor dem Schreibtisch fielen ihm nicht leicht. Vor allem weil die Worte seines Vaters so ernst klangen. Das ungute Gefühl in seinem Magen breitete sich aus.  „Deine Mutter und ich... deine Mutter ist vor einer Wochen ausgezogen.“

 

Hatte Rupert den fehlenden Weihnachtsbaum schon als Schock empfunden, so wurde dieser von der ungeschminkten Wahrheit übertroffen. Rupert wollte seinem Vater nicht glauben. Konnte es nicht glauben. „Ausgezogen?“ flüsterte er, als würde er das Wort zum ersten Mal hören. „Du meinst.. sie verbringt Weihnachten nicht mit uns?“

 

Sein Vater schüttelte den Kopf und setzte sich wieder. „Nicht dieses Jahr. Und ich weiß nicht, ob sie jemals zurückkehren wird.“ Seine Gedanken schweiften ab zu jenen Tag vor zwei Wochen, als sie auf dem Weg in ein Konzert gewesen waren. Sie hatten einen kleinen Umweg gemacht, obwohl seine Frau ihm vorwarf, dass ihm einmal mehr die Arbeit wichtiger war.

 

Dabei war es nichts besonderes gewesen. Er wollte nur etwas überprüfen. Eine Adresse, die man im Rat als Dämonennest gemeldet hatte. Ungefährliche Dämonen – ein Routinevorgang. Doch es war alles anders gekommen. Sie wurden von zwei Dämonen angegriffen und nur der Tatsache, dass er immer eine Waffe bei sich trug, verdankten sie ihr Leben. Das Konzert war ins Wasser gefallen und sie beide hatten den größten Streit ihrer gesamten Ehe gehabt. Eine Woche später war seine Frau dann plötzlich ohne ein weiteres Wort zu verlieren ausgezogen. Aber wie sollte er das dem Jungen erklären, ohne ihm weh zu tun? Was sollte er ihm eines Tages antworten, wenn er wissen wollte, wieso seine Mutter ihn ihm Stich gelassen hatte?

 

Langsam schien der Junge zu begreifen und das Ausmaß der Worte seines Vaters zu verstehen... seine Mutter, die er liebte, die dem Haus Wärme verlieh.. war nicht mehr da. Wer würde ihm jetzt in Zukunft die aufmunternde Briefe ins Internat schicken, wer die Tränen trocknen, wer  war für ihn da, wenn er in den Ferien hier zuhause war, während sein Vater ständig unterwegs sein musste? Tränen begannen in seinen Augen zu brennen, die er erfolgreich zurückhielt, da er wusste, dass in den Augen seines Vaters, ein großer, tapferer Junge nicht weinte.

“Nun, mein Sohn.. das ist nichts worüber wir verzweifeln müssten. In unserem Leben müssen wir immer wieder Opfer bringen. Auch du wirst das eines Tages erkennen, wenn deine Ausbildung beendet ist.“ Vater setzte ein ernstes Gesicht auf und faltete die Hände über einigen Unterlagen vor sich. Rupert rutschte unangenehm im Sessel hin und her. Er hatte so viele Fragen, aber irgendetwas sagte ihm, dass sein Vater keine beantworten würde. Nicht jetzt. Er hatte bereits vom Thema abgelenkt und zwang den kleinen Jungen die Fragen über seine Mutter, den Grund und ihre Zukunft zurückzustellen, um auf die Worte seines Vaters einzugehen.

 

„Welche Ausbildung?“

„Deine Ausbildung zum Wächter.“ Sein Vater sprach die vier Worte aus, als würde davon die Welt abhängen. „Du wirst in Zukunft noch viel mehr lernen müssen, um deinem Erbe, deiner Berufung gerecht zu werden.“

„Aber... aber ich möchte doch Kampfpilot werden oder vielleicht Kaufmann,“ sagte Rupert unschuldig und hatte nicht die geringste Vorstellung, was sein Vater meinte.

Sein Vater lachte bitter auf. „Ich glaube, daraus wird nichts, mein Sohn. Unsere Familie hat eine lange Tradition in meinem Beruf. Und deine Großmutter und ich werden es ganz sicher nicht dulden, dass unser einziger Erbe anderen Plänen nachgeht. Du siehst.. Verantwortung ist eine sehr harte Sache. Und um Verantwortung wird es ab jetzt immer in deinem Leben gehen...“

 

 ++++

 

Cleveland. Ratsgebäude. Gegenwart

Giles blinzelte nervös und unbemerkt. Die Erinnerung hatte ihn ohne Warnung überfallen und völlig aus dem Konzept gebracht.

 

Dabei rechnete er in den letzten Tagen öfters mit Erinnerungen und schlechten Träumen. Seit das Monster in der Stadt war, waren alte Alpträume wieder hoch gekommen, so wie dieser. Weihnachten war von diesem Tag an nie wieder dasselbe Fest gewesen, das er zehn Jahre lang zuvor genossen hatte.

 

Aber nicht nur wegen des Monsters kamen die Gedanken. Den ganzen Stress mit dem Wiederaufbau des Rates hatte er gehörig unterschätzt und es gab stille Momente, in denen er sich fragte wieso er es überhaupt tat. Ob es sich lohnte, ob es ihm jemand danken würde.... In diesen Augenblicken fiel ihm immer wieder die schrecklich langatmige Rede seines Vaters ein, die er damals an ihn gerichtet hatte. Er hätte erklärt, dass es für ihn von jetzt an nur noch wichtig war, zu gehorchen, dass er zu tun hatte, was sein Vater und seine Großmutter für das Beste hielten, dass er  Dinge tun musste, die er eigentlich gar nicht tun wollte

 

Internate, eine Fremdsprache nach der anderen, Kampfsporttraining und schließlich die Wächterausbildung. Einen Seufzer konnte Giles gerade noch unterdrücken, als die Gedanken unweigerlich bei seiner Mutter verweilten, die ihn einfach so zurück gelassen hatte, obwohl sie doch wusste, was ihn erwartete. Jahre lang hatte sie an der Seite ihres Mannes gestanden und ihn unterstützt. Sie war ihm die brave Hausfrau gewesen bis ein einschneidendes Erlebnis ihr gesamtes Weltbild und Leben verändert hatte. Aber die Zeiten, als er ihr deswegen Vorwürfe gemacht hatte, waren vorbei...

... Giles blickte in die gelangweilten Gesichter vor sich und versuchte sich wieder zu konzentrieren. Was schwer war, angesichts des Themas, das sich um das bestialische Monster drehte und damit unweigerlich um einen Teil seiner Vergangenheit.

„Ja, Verantwortung, uhm..,“ versuchte Giles den Faden wieder zu finden. „Eh... wenn es euch also nicht interessiert...“

 

„Doch, doch Giles, fahren Sie nur fort,“ ermutigte Dawn ihn lahm und blickte neben sich zu Andrew. Mit einem Ohr hatte sie gelangweilt Giles Ansprache gelauscht, ohne wirklich zu verstehen, was der Wächter von ihnen wollte. In Gedanken war sie ganz damit beschäftigt, dass sie und Andrew sich wieder versöhnt hatten. Und das war gut so! Sie konnten wieder herumalbern, über die letzten Enterprise-Folgen diskutieren und Captain Archer anhimmeln. Bei dem Gedanken musste sie kichern und hörte Giles entnervt darüber seufzen. Sie mahnte sich zur Ordnung und blickte zurück zu dem Briten. Sie verstand ja, dass er sich Sorgen machte, aber sie alle hatten das Urböse überstanden, da war das hier doch ein Klacks....

 

„Ich glaube ihr versteht nicht.. das Monster dort draußen,“ Giles hatte sich wieder im Griff und sah verärgert die versammelte Gang an. „Es ist gefährlich. Es ist verdammt gefährlich und wenn ihr euch nicht zusammen nehmt, endet einer von euch vielleicht so, wie dieser arme Zigeuner von gestern Morgen.“ Er war lauter geworden, aggressiver und er musste sich selbst zur Ruhe mahnen, als er in Buffys erstauntes Gesicht blickte. „Uhm... ich meine...“

„Wir haben Sie schon beim ersten Mal verstanden, Giles,“ beruhigte Kennedy und stand auf. Sie hatte keine Lust den Rest des Tages hier eingesperrt zu verbringen. Es war wohl klüger dem Wächter Recht zu geben, damit die Versammlung schnell ein Ende fand. „Kein Grund auszuflippen. Buffy und ich gehen einfach regelmäßiger auf Patrouille und passen besser auf...“

 

„Ausflippen?“, flüsterte Buffy amüsiert über Kennedys mutige Worte, wurde aber von einem schneidenden „Nein“ von Giles sofort wieder ernst. Der Wächter war Kennedy in den Weg getreten und funkelte die ältere, wenn auch nicht erfahrenere Jägerin an. Die Situation war ungewöhnlich angespannt und keiner aus der Gang konnte sich daran erinnern, Giles in den letzten Monaten so erlebt zu haben. Und dass, obwohl Stress und die Umstände ihn dazu sicher mehr berechtigt hätten, als ein einfacher Dämon, der ein wenig fleißig ans Werk ging. 

 

Zu ihrem Glück öffnete sich die Tür und Lily trat ein. „Entschuldigt die Verspätung,“ murmelte sie und setzte sich. „Hat etwas länger gedauert.“ Sie lächelte Giles zu und war bestürzt, als sie seinen angestrengten Gesichtsausdruck sah. Erst jetzt bemerkte sie die gespannte Atmosphäre im Raum. „Ich scheine das Beste verpasst zu haben?“
 

„Giles ist auf hundertachtzig,“ raunte Dawn ihr zu und erntete einen vernichtenden Blick von Giles. Sie zog ihren Kopf ein und schwor sich in den nächsten Minuten nichts mehr zu sagen.

 

Lily nickte Giles aufmunternd zu. Sie wollte nicht noch mehr Öl in das Feuer gießen und ließ ihren Kollegen weiterreden. Einzelheiten erfuhr sie bestimmt später.

„Dieses Monster ist nicht nur gefährlich, sondern auch berechnend und aggressiv. Es ist intelligent und schlau. Allerdings wird es von seiner Gier getrieben,“ setzte Giles die Argumentation fort und schloss kurz die Augen, als ihn eine weitere, alte Erinnerung überkam und ...

 

England 1975

Blaulicht zuckte über die Hauswand und verzerrte die geworfenen Schatten, während der Vollmond den Garten in gespenstiges Licht tauchte. Der junge Giles stand abseits von dem ganzen Treiben und blickte fassungslos den Menschen im Garten zu. Seine Hand.. etwas Warmes, Feuchtes... er wollte nicht nach unten blicken und doch zwang ihn etwas dazu. Blut.. sie waren voller Blut.. sein Hemd.. voller Blut... ihr Blut. Er hörte einen Reisverschluss, der einen Plastiksack schloss und es fröstelte ihn. Dann kamen die Sanitäter mit der Bahre. Sein Blick wanderte von der Bahre mit dem Plastiksack weiter und blieb an der Gestalt seines Vaters hängen, der alt und müde, aber auch anklagend zu ihm herüber sah...

 

Gegenwart

„Giles?“ Buffys besorgte Stimme folgte ein nervöses „Rupert?“ von Lily, das langsam zu dem Briten vordrang.

 

„Was? Oh uhm.. entschuldigt. I-ich war abgelenkt....“

“Ach.. und das bei einer Gefahr, die laut Ihnen so gefährlich ist, dass Sie zwei Jägerinnen, die gegen das Urböse gekämpft haben, nicht trauen damit fertig zu werden?“ Buffy klang ein wenig zynisch. Langsam verstand sie wirklich nicht mehr, was mit ihrem ehemaligen Wächter los war. „Und was ist das für ein Monster, wenn Sie darüber schon so gut Bescheid wissen?“

 

„Es ist ein Profil,“ sagte Giles zögernd. „Ich habe noch nichts Konkretes gefunden.“

 

Auf einmal kicherte Andrew unpassend los. „Und alle haben es gesehen?“ platzte es dabei aus ihm heraus.

“Ich bin aus der Übung,“ gluckste Dawn.

Die plötzliche Stille im Raum machte ihnen beiden bewusst, dass sie von allen angestarrt wurden und wohl etwas zu laut gewesen waren. Andrew lächelte unsicher und Dawn sah nach unten auf ihre Schuhspitzen, in Erwartung einer Zurechtweisung. Schließlich war sie schuld an der Unterbrechung. Aber sie hatte wirklich anderes im Kopf, als sich über einen Dämon den Kopf zu zerbrechen.

 

Da war Shin und die Sache mit Leroy und dem Überfall, gefolgt von ihrer Entscheidung, wann sie wem über sich und ihren neuen Kräften erzählen würde. Zudem hatte Buffy es doch gerade auf den Punkt gebracht – zwei Jägerinnen gegen einen Dämon. Welche Chance sollte das Monster schon haben? Oder sollte sie sich etwas mehr Sorgen machen? Schließlich, sie als geheime Jägerin.. schon alleine bei dem Gedanken, dass sie sich wie eine Geheimagentin betätigen konnte, brachte sie wieder zum kichern.

Andrew zog den Kopf ein und blickte nervös zu Giles, dessen Blick unschwer verriet, dass ihm langsam Dawns und Andrews Herumalbern auf die Nerven ging. Seine Chancen, wie es um ihn und seine Eingliederung in die Gruppe stand, konnte er sich an einer Hand ausrechnen. Aber es war einfach zu witzig gewesen, wie Dawn ihm gerade eben davon berichtet hatte, wie sie Mara demonstrieren wollte, wie man Wackelpudding mit den Händen aß, während die halbe Kantine zugesehen hatte und der Pudding überall sonst landete, nur nicht in ihrem Mund.

 

Doch niemand sagte etwas. Schließlich reichten manchmal Blick und schließlich fuhr Giles fort. Ein wenig gereizter.

 

„Ich möchte, dass Dawn nicht alleine nachts unterwegs ist und du und Kennedy, solltet zusammen auf Patrouille gehen.“ Buffy sah entsetzt von Giles zu Kennedy, die selbst nicht begeistert wirkte. Dawn sprang auf.

 

„Hey Giles.. ich bin keine 14 mehr..“

 

„Aber auch keine Jägerin!“ herrschte er sie an. „Und da du und Andrew die Sache wohl nicht ernst genug nehmt, muss man es euch wohl demonstrieren.  Es wäre gut, wenn ihr einmal das tun könntet, was ich euch rate. Egal wie alt ihr seid,“ Giles funkelte die Gruppe wütend an, drehte sich dann herum und stürmte einfach aus dem Raum.

Alle sahen sich bestürzt und betreten an.

 

„Was war das denn?“ Kennedy ließ sich wieder auf ihren Stuhl zurückfallen.

 

„Was hat Giles?“ Willow sah Buffy und Xander besorgt an.

 

„Keine Ahnung. Er ist so merkwürdig drauf, seit wir gestern Morgen auf dem Festplatz waren,“ gab Buffy zur allgemeinen Erklärung ab und stand auf.

 

„Das ist nicht ganz richtig,“ mischte sich Lily vorsichtig ein. „Er verhält sich ein wenig anders, seit dieses Monster in der Stadt ist.“ Vielleicht war es ganz gut, wenn sie die jungen Erwachsenen mit der Nase auf die Ursache stieß.

„Hmm...,“ Buffy sah auf den Boden und auch die anderen wussten nicht, was sie sagen sollten. So richtig war ihnen das gar nicht auf gefallen. „Vielleicht tun wir einfach was er sagt!“

 

„Und das aus Buffys Mund,“ scherzte Xander.

 

„Bis,“ betonte Buffy stark und sah mahnend zu Xander. „Bis wir herausgefunden haben, was mit ihm los ist oder er sich wieder beruhigt hat... ?“

 

++++

 

Clearfield, Pennsylvania

Selber Nachmittag

„Halt an, ich glaube, hier ist es,“ Faith deutete nach vorne auf ein hübsches, gepflegtes Häuschen, das mit seinem frischen, weißen Anstrich, dem kurzen Rasen und dem Volvo in der Einfahrt nicht auf ein Nest Jägerinnen schließen ließ.

 

„Bist du dir sicher,“ Robin fuhr langsamer.

 

„Aber ja, hier steht’s doch,“ Faith wedelte mit ihrem Notizzettel. „Hausnummer 2314.“

 

„Okay,“ Robin trat auf die Bremse. „Hoffentlich ist  O’Bailey auch zuhause.“

 

„Wir hätten anrufen sollen,“ ließ Ronah altklug von hinten verlauten.

 

„Überraschungen machen einen Tag doch erst so richtig interessant,“ grinste Faith. „Ich regle das schnell alleine. Er rechnet sicher nicht mit so vielen Leuten.“

 

„Denkst du, du bekommst das hin?“ Robins Worte waren keinesfalls als Kritik gemeint, aber er sah an Faith’ Gesicht sofort, dass sie ihm die Frage übel nahm. „I-ich meine...uhm.. ist schon okay.. bis gleich.“

 

Faith warf ihm einen scharfen Blick zu und sprang durch die geöffnete Türe nach draußen auf den Rasenabschnitt am Straßenrand. Sie hasst es, wenn Robin begann, seinen Wächter gönnerhaft heraushängen zu lassen. Selbst wenn er es nicht so meinte. Er hatte nichts verstanden.


Und ja, selbst wenn sie nicht die Diplomatischste war, hatte sie in den letzten Monaten eine Menge dazu gelernt. Da würde sie doch ein verdammtes Buch für Giles entgegennehmen können?

 

++++

 

Cleveland. Giles Büro
„Was um alles in der Welt ist mir dir los?“ Lily trat in Giles Büro und sah ihn forschend an. Er war blass und wirkte müde. Eben im Konferenzraum, war ihr das nicht so bewusst gewesen. Ihr Blick wanderte missbilligend zu einem leeren Whiskey-Glas und einer Flasche auf seinem Schreibtisch. Giles’ Augen folgte ihrem Blick und er machte ein betretenes Gesicht. Allerdings versuchte er sich nicht mit fadenscheinigen Lügen aus der Situation zu retten. Auch wenn sie ihm peinlich war.

 

Er stellte das Glas in die kleine Spüle im Raum und ließ die halbleere Flasche in seinem Schreibtisch verschwinden.


„Was soll ich schon haben?“, fragte er schließlich launisch und beantwortete sich die Frage gleich selbst. „Nichts.“
 

„Nichts? Du fährst deine Freunde da draußen ohne Grund an, bist übermüdet und aggressiv. Du trinkst offensichtlich am helllichten Tag... das letzte Mal habe ich dich vor fast 30 Jahren so erlebt, als deine Mutter... oh, jetzt verstehe ich.“
 

„Das hat damit nichts zu tun,“ er stand auf und ging an Lily vorbei auf den Flur.

 

„Entschuldige, aber ich bin nicht blind. Und was ihr von eurem Fund gestern erzählt habt, lässt manche Schlüsse zu.“
 

Giles blieb stehen und drehte sich zu ihr herum. „I-ich denke nicht, dass es...“

 

„Oh doch, genau das denkst du. Es hat damals genauso angefangen, wie jetzt auch. Du befürchtest, es könnte auch diesmal jemand sterben, der dir wichtig ist. Aber es war damals ein verdammter Zufall. Zweimal wird sich das sicher nicht wiederholen.“

 

„Das weiß man nie mit Bestimmtheit,“ er kam zurück in das Büro, als ihm klar wurde, dass Lily nicht locker lassen würde. „Wieso ist es sonst hier?“
 
“Zufall? Hör auf dich deswegen kaputt zu machen. Das nützt niemanden etwas. Und deine beiden Jägerinnen sind stark genug, um mit diesem Problem fertig zu werden. Uns standen diese Möglichkeiten damals nicht zur Verfügung.“

 

„Vielleicht... vielleicht hast du recht,“ seufzte Giles und starrte vor sich düster hin.

 

„Nein... ich HABE recht,“ lächelte Lily und trat hinter ihn. Ihre Hände lagen plötzlich auf seinem Nacken und nach kurzem Zögern begann sie ihn vorsichtig zu massieren. „Entspann dich.. du bist furchtbar verkrampft.“

 

Giles ließ seinen Kopf kreisen. Die Behandlung tat wirklich gut, aber... es war nicht gut für sie beide. Auch wenn Lily vielleicht keine Hintergedanken hatte. Jetzt war einfach ein schlechter Zeitpunkt. „Ist das ein Wunder?“ Er griff nach hinten und zog ihre Hände weg. Zudem stand noch immer ihr Streit  vor einigen Wochen zwischen ihnen.

„Eigentlich habe ich mich eher darüber gewundert, dass du nicht schon früher zusammengebrochen bist,“ lächelte Lily enttäuscht über Giles’ Abweisung.  „Die Ähnlichkeiten sind frappierend.“ Sie entzog ihm ihre Hände und ging zur Türe.
 

„Warte,“ Giles ging zu seinem Schreibtisch und zog die Schublade auf.  Er ignorierte, was Lily gerade gesagt hatte und entnahm der Schublade einen Umschlag.
 

„Was ist das?“ Vom Themenwechsel überrumpelt kam Lily zurück.

 

„Uhm.. eine Entschuldigung,“ Giles reichte ihr den Umschlag. Da er gerade an den Streit gedacht hatte, der sie beide noch immer belastete, wollte er diese Unstimmigkeiten so schnell wie möglich aus der Welt schaffen. Genau genommen musste er sich ja nicht entschuldigen, dachte er trübsinnig, während er Lily ansah. Sie hatte angefangen ihn zu kritisieren, Buffy zu kritisieren... aber kleinlich zu sein, konnte er sich im Moment kaum leisten. Er würde einfach den ersten Schritt machen.


„Oh und ich dachte schon an meine Kündigung?“, lachte sie bitter.
 

„Lily bitte,“ stöhnte Giles. „Öffne ihn einfach und schau nach.“

 

Lily verzog ihre Mundwinkel skeptisch und öffnete schließlich den Umschlag. Zwei Karten kamen zum Vorschein. „Konzertkarten?“

 

„Ich dachte, eine Entschuldigung wäre angebracht. Schließlich habe ich dich in diesen ganzen Wiederaufbau mit hineingezogen. Obwohl du nichts anderes tun wolltest, als deine Pferdezucht in Ruhe zu betreiben. Meinungsverschiedenheiten sollten nicht - nun ja.. uhm...“

 

Lily starrte auf die Karten und seufzte. „Eigentlich müsste ich mich bei dir entschuldigen...“

 

„Vergiss es bitte.“

 

„Einverstanden und angenommen,“ Lilys leicht angespannter Gesichtsausdruck wich einem Lächeln. Dann musste sie lachen. „Früher hast du es nicht einmal geschafft, mich ins Kino einzuladen. Ich bin erstaunt. Und erfreut.“

 

„Damals hatte ich nicht einmal Geld, um die Miete zu bezahlen. Allerdings wärst du überrascht, wenn du wüsstest, wie wenig von dem jungen Mann von früher noch existiert.“

 

„Ich bin gerne bereit, es herauszufinden.“ Bei Lilys Worten lächelte Giles verlegen und er wusste für eine Sekunde nicht, was er sagen oder wohin er seinen Blick wenden sollte. Als er wieder zurück zu  Lily blickte, lächelte sie ebenfalls und ihre Blicke trafen sich. Viel zu lange hielten sich ihre Augen gefangen. Ehe Giles etwas sagen oder ihr klar machen konnte, dass es besser wäre, wenn sie es nicht herausfände, und alles beim alten blieb, ertönten auf dem Flur Buffys und Willows Stimmen.

 

„Ach da stecken Sie, Giles,“ Buffy warf Lily einen nachdenklichen Blick zu und ging an ihr vorbei in den Raum. Lily zog die Stirn kraus. Sie hatte in den letzten Tagen gespürt, dass Buffys Abneigung gestiegen war. Ganz besonders seit Lilys Rückkehr aus Virginia. Offensichtlich hatte die Jägerin ihre Abwesenheit genutzt, um über ein paar Dinge, Lily betreffend, nachzudenken. Sie konnte sich allerdings nicht erklären, wieso. Außer Rupert hatte mit Buffy über den Streit gesprochen, was sie allerdings bei näherem Nachdenken ausschließen konnte.

“Wir machen uns Sorgen,“ fügte Willow hinzu. „O-oder stören wir gerade?“

 

„Oh nein – nur fast,“ brachte Lily Giles etwas in Verlegenheit und nahm ihren Blick nicht von ihm. Er räusperte sich und rieb sich die Schläfe.

 

„Fast?“ Buffy horchte auf und Willow war irritiert.
 

„Es ist nichts...zudem.. mische ich mich etwa in euer Privatleben ein?“, Giles spielte nervös an seiner Brille herum.

 

Buffy grinste ihn ungeniert an. „Soweit ich mich erinnere.. ja und zwar verstärkt in meines. Wenn auch in letzter Zeit stark eingeschränkt. Eine negative Angewohnheit von Wächtern. Aber ich könnte langsam einen gewissen Verdacht bekommen, wenn Sie vorhin nicht so gänzlich neben sich gestanden hätten...“

 

 „Es ist nicht so wie du denkst...,“ fiel ihr Giles hastig ins Wort.

 

„Was denke ich denn?“ Buffys Grinsen wurde breiter. 

 

Giles verdrehte die Augen und sah hilfesuchend zu Lily. Sie hob die Karten hoch. „Rupert hat mich zu einem Konzert eingeladen...“

 

„Ein Date?“ platzte es aus Willow heraus und  Buffy war nun doch erstaunt. Innerlich war sie sogar entsetzt. Was lief hier eigentlich? Waren Giles und Lily nicht verstritten? Und war Giles nicht gerade eben nicht noch.. zu angespannt und zu gereizt gewesen, um in Stimmung für ein Date zu sein?
 

Giles stöhnte und hielt sich eine Hand vor die Augen. Lily war keine Hilfe.

 

„Es wäre nicht das erste,“ gab Lily dem ganzen den Todesstoss. Giles Blick fiel gequält zu Lily.

 

„Konzert?“

 

“Date!”, korrigierte Lily die Jägerin.

 

„Sie und Giles?“, fragte Willow erstaunt. Eigentlich hätte sie es ja wissen müssen. In London waren die Spannungen schon zu spüren gewesen.

 

Lily nickte und Giles Stöhnen ging in ein tiefes, gequältes Geräusch unter, während er nach seiner Brille griff, um sie zu polieren.

„Ihr seid darüber erstaunt?“ Lily  amüsierte sich bestens über die Situation.

 

„Na ja, Giles und die Frauen...“, setzte Willow vorsichtig an.

 

„Oh, ihr würdet sicher sehr erschüttert sein, wenn ich euch verraten würde, was für ein Frauenheld der jungendliche Rupert war. Schließlich war er es, der mir beibrachte, wie man einen Zungenkuss richtig ...“


„Kein weiteres Wort mehr!“ stieß Buffy entsetzt hervor. Jetzt würde sie wieder Tage brauchen, bis sie das Bild von Giles und Sex aus dem Kopf bekam. Dabei.. sie waren inzwischen erwachsen.. sie sollte sich nicht mehr so kindisch aufführen. Schließlich war sie irgendwann auch über die Vorstellung ihrer Mutter und Giles auf einer Motorhaube eines Polizeiwagens hinweggekommen.


Willow hingegen grinste bis über beide Ohren.

 

„Schon verstanden.“ Unter einem amüsierten, einen entsetzten und einem aufgebrachten Blick, verließ Lily lachend das Büro und überließ den armen Mann seinen besorgten Freunden.

Als Lily gegangen war, standen sich die drei verlegen gegenüber, bis sich Giles endlich räusperte und aufsah. “Nun.. was wolltet ihr von mir?“

 

„Wir machen uns Sorgen.. Sie sehen müde aus,“ erklärte Willow vorsichtig, während Buffy das Waschbecken neben sich inspizierte und anklagend das benutzte Whiskey-Glas hochhob. „Und trinken,“ fügte Willow hastig hinzu.

 

„Keine guten Anzeichen,“ belehrte Buffy. „Sie erinnern sich an einen Vorfall, der sich Eyghon nannte...“

 

Giles winkte ab, setzte seine Brille zurück auf die Nase und sah missmutig zum Fenster hinaus, das den Blick auf einen kleinen Garten freigab. „Das hat damit nichts zu tun.“
 

„Das sagen Sie!“ Buffy legte ihren Kopf leicht zur Seite und sah Giles durchdringend an. „Vielleicht, vielleicht sollten Dawn und ich den Umzug noch um eine Woche verschieben, wenn das jetzt ein schlechter Zeitpunkt ist?“

 

„Auf keinen Fall. Ihr habt schon gepackt und.. nein ihr werdet umziehen. Es hat damit nichts zu tun.“ Erleichterung machte sich auf Buffys Gesicht breit, das sofort in einen panischen Blick umschwenkte. „Meine Güte.. ich habe ganz die Spedition vergessen... sie erwarten einen Anruf von mir.“ Und ehe jemand etwas sagen konnte, war Buffy verschwunden.

 

Wieder senkte sich eine verlegene Stille über den Raum und Willow spielte nervös mit ihren Händen. Sie hatte einen Auftrag von Buffy. Natürlich war ihr nicht wohl dabei. Aber sie hatte es ihrer Freundin versprochen und Versprechen pflegte Willow einzuhalten. Auch wenn das bedeutete, dass sie viel zu neugierige Fragen über den Rat, Lily oder Giles selbst stellen musste. „Also, also...mit was hat es dann zu tun. Ich meine, dass Sie wieder einen auf Mister Geheimnisvoll machen?“

 

Giles zog eine Augenbraue missbilligend in die Höhe und blieb für Willows Gefühl zu lange schweigsam, ehe er den Kopf schüttelte. „Es ist zu kompliziert.“

 

„Dann erklären Sie es mir einfach. Dafür sind wir doch da? Wir haben längst alle begriffen, wie wichtig es für uns ist, wenn wir miteinander reden.“ Willow wurde ungeduldig. Einerseits wollte sie Giles doch nur helfen. So wie er ihr damals nach Taras und Warrens Tod geholfen hatte. Andererseits hatte sie noch immer Buffys Bitte nachzugehen und hier bot sich vielleicht die Gelegenheit. „Ist es der Rat?“

 

„Nein. Es läuft alles bestens,“ konnte Giles mit ruhigem Gewissen zugeben.

 

„Wirklich? Gut...,“ Willow suchte krampfhaft nach einem unverfänglichen Übergang. „Und keine Schwierigkeiten im Sinne von ‚ich habe einen Geist gerufen und bekomme ihn nicht wieder los’?“

 

„Nein, Willow. Wirklich nicht.“

 

„Oh, gut. Uhm... das beruhigt mich, denn diesmal haben wir keinen Angel hier, der als Toter das Gefäß für einen Dämon spielen könnte,“ redete Willow viel zu schnell und viel zu nervös weiter. „Haben Sie etwas übersetzt  und herausgefunden, dass uns wieder einmal eine schlimme Katastrophe bevorsteht?“

 

„Auch nicht... uhm, kann es sein, dass deine Fragen einen ganz anderen Hintergrund haben?“

 

„Nein wieso?“, unschuldig blickte Willow auf. „Ich möchte nur als gute Freundin herausfinden, wieso Sie so.. drauf sind. Also ist alles in Ordnung? Keine Wächter, die mit Ihren Vorschlägen nicht einverstanden wären oder Jägerinnen, die auf Ihrer Nase herumtanzen?“

 

„Bis auf Buffy keine,“ lächelte Giles schwach. „Dein Interesse am Fortschritt des Rates war bisher ganz anderer Natur.“

 

„Oh.. ich wollte nur herausfinden, was mit Ihnen los ist,“ wiederholte Willow lahm und wusste, dass Giles ihr das nicht mehr länger abkaufen würde. Aber ihr fiel einfach nichts besseres ein. Ihr Herz pochte wild und sie verwünschte Buffy für ihre Spionageidee. „Dann lass ich Sie lieber mal alleine.“ Sie wollte nicht noch mehr Giles’ Misstrauen wecken und wartete erst gar keine Antwort ab, als sie den Rückzug antrat.

++++

Clearfield, Pennsylvania
Selbe Zeit

„Ja?“ Die Stimme einer Frau drang gedämpft durch die Türe zu Faith, die nervös auf der Veranda stand und schon geglaubt hatte, dass ihr niemand mehr öffnen würde.

 

„Hier ist Faith. Hier draußen,“ sie sah zum Bus zurück. Vielleicht hatte Robin ja doch recht gehabt und er hätte es besser erledigt. „Ich wollte zu Mr. O’Bailey. Etwas abholen.“

 

Die Türe wurde geöffnet, jedoch stand noch eine geschlossene Fliegengittertüre zwischen Faith und der Frau Ende vierzig, die mit ihren zu einem Pferdeschwanz zurückgebundenen Haaren, den Jeans und der unter der Brust geknoteten Bluse jünger wirkte. Doch ihre Falten um die Augen und der leichte Grauschimmer im Haar täuschten Faith nicht besonders.

 

„Faith..,“ überlegte die Frau, doch dann erhellte sich ihr Gesicht. „Ah ja, die Jägerin, die uns Mister Giles angekündigt hat.“ Faith nickte und die Frau öffnete von ihrer Seite aus das Fliegengitter. „Kommen Sie herein, Miss. Ich bin Lisha O’Bailey. Seine Frau.“

 

„Aha,“ Faith trat ein und war wirklich angenehm überrascht, dass man ihr so viel Reife zugestand, um sie so höflich anzusprechen. Darüber fast schon amüsiert folgte sie  Mrs. O’Bailey über einen kleinen, aber hellen und freundlichen Flur in ein einladendes Wohnzimmer, von welchem aus man einen wundervollen Blick in einen zugewachsenen Garten hatte. Ein paar Mädchen waren draußen in Trainingskleidung und übten eine Kampfsportart.

 

„Wenn Sie sich bitte setzen wollen?“ Die Frau zeigte zur Sitzgruppe und deutete dann in den Garten. „Ich hole Kieran. Er ist draußen.“

 

Faith nickte zustimmend und sah der Frau hinterher, die durch eine Schiebetüre ins Freie hinaustrat.

 

++++

 

Cleveland
Ratsgebäude
Buffy legte gerade mit erleichtertem Gesichtsausdruck den Hörer im Konferenzraum auf, als die Türklingel ertönte. Die Termine waren alle bestätigt, und dem Umzug stand nichts mehr im Weg.

 

Mit gerunzelter Stirn sah sie zur Tür. Wer konnte das sein? Jetzt, wo sie den Kopf sowieso mit allem möglichen voll hatte, - der Umzug, ein bestialisches Monster, Giles, der sich merkwürdig verhielt -, da kam ein ungebetener Gast nicht sehr gelegen.

 

Erneut läutete es, als Willow gerade zurückkehrte, mit der Absicht, mit Buffy über ihr Gespräch mit Giles zu reden.  Das ungewohnte Geräusch im Gebäude erklang ein drittes Mal und die beiden Freundinnen sahen sich überrascht an. Schließlich siegte die Neugier und Buffy ging nach vorne zum Haupteingang, um nachzusehen. Willow folgte ihr.

 

„Sie?“ Überraschung spiegelte sich in Buffys Gesicht, als sie auf der Türschwelle den jungen Polizisten von gestern Morgen stehen sah.

 

„Detective Delaney,“ überging der Mann Buffys Überraschung diensteifrig und hielt ihr seinen Ausweis unter die Nase. „Patrick Delaney.“

 

„Und?“

 

„Ich hätte ein paar Fragen an Sie?“ Er wollte einen Schritt nach vorne machen, doch Buffy bliebt wo sie war, und zog die Türe etwas zu, damit er nicht ins Innere blicken konnte.

“Und?“ Buffys Ruhe blieb oberflächlich bestehen, innerlich machte sich ein mulmiges Gefühl in ihrem Magen breit und sie mahnte sich zur Vorsicht. Hinter sich hörte sie Willow, aber um dem Polizisten keine weiteren Grundlagen für Fragen zu liefern, sah sie nicht hinter sich.

 

„Ich schätze, das heißt, ich darf nicht eintreten?“ Delaney hob eine Augenbraue und zog sein Notizblock hervor. Buffy schüttelte langsam den Kopf. „Nun... auch recht.. es ist ein herrlich kalter Novembermorgen und meine 30 Dollar Jacke wird mich schon vor einer Erkältung schützen.“ Buffys Miene blieb unverändert. „Ich hätte nur ein paar Fragen wegen gestern Morgen.“

 

„Und?“

 

„Habe nur ich das Gefühl oder ist unsere Unterhaltung recht einseitig?“ Delaney kratzte sich mit dem Kugelschreiber am Kopf.

 

„Fragen Sie schon endlich. Ich habe nicht alle Zeit der Welt.“ Buffy klang unfreundlich, aber das war ihre Absicht. Sie hatte noch so einiges für den Umzug vorzubereiten. Dawn wartete mit den letzten Kartons und sie wollte bis heute Abend alles fertig haben, damit morgen der Umzug reibungslos ablaufen konnte.

 

Unbeeindruckt von ihrer Schroffheit fuhr er fort: „Was hatten Sie dort zu suchen?“

 

„Einen Freund.“

 

„Name?“

 

„Buffy Summers.“

 

„Nein, der Ihres Freundes.“ Ein wenig schien Delaney die Geduld zu verlieren.

 

„Rupert Giles,“ sagte Buffy verärgert darüber, dass sie Delaney unfreiwillig und dummerweise mehr Informationen gegeben hatte, als er wollte. Wobei.. vielleicht wusste er schon längst wer sie war. Sonst wäre er ja nicht hier.

 

„Ihm gehört das Haus hier?“

 

„Ja. Und?“

 

„Was hatte dieser Mister Giles auf dem Jahrmarkt zu schaffen?“

 

„Er ließ sich die Karten legen.“

 

„Von einer Sina? Der Wahrsagerin?“ Buffy nickte. „Da wären wir doch gleich beim Punkt .. es ist merkwürdig, dass so kurz nach Ihrem Auftauchen ein zweiter Mord geschehen ist. Die Kartenlegerin.“

 

Nun war es mit Buffys Ruhe vorbei. Sie sah den Mann fassungslos an und ihr Mund fühlte sich trocken an. Nervös spielte ihre Hand in der Innenseite der Tür am Knauf. Hoffentlich hatte sie mit ihren Antworten nicht Giles in eine Notlage gebracht. Hoffentlich hatte Giles nicht etwas damit zu tun und war deshalb so merkwürdig drauf! „Das... das wussten wir nicht.“

 

„Wir haben es noch nicht für die Presse bekannt gegeben,“ er notierte sich etwas. „Waren Sie mit dieser,“ er blickt auf seinen Notizblock. „Sina bekannt?“

 

„Nein, nein,“ bekräftigte Buffy. „Wir haben sie zufällig kenngelernt.“

 

„Gerade eben sagten Sie noch, Mister Giles wäre dort mit Absicht gewesen.“

 

„Ja, aber was hat das damit zu tun? Wir kannten sie vorher nicht.“


„Verstehe.. ist Mister Giles da.“

 

„Nein,“ sagte Buffy eine Spur zu hastig, wie sie am Gesichtsausdruck des Polizisten feststellen konnte.

 

Delaney notierte sich erneut ein paar Dinge und schien nachzudenken. Offensichtlich wechselte er die Taktik, denn seine Fragen gingen in eine neue Richtung. „Und... was tun Sie so den ganzen Tag? Mit diesem großen Gebäude? Es war früher einmal eine kleine Baptistenkirche...“

 

„Ach wirklich?“ Buffy kam in Erklärungsnot. Delaney nickte. „Wir wohnen hier.“

 

„Wir?“

 

„Ich.“

 

„Sie und dieser Mister Giles? Laut Unterlagen sind sie nicht miteinander verwandt. Wie alt sind Sie eigentlich? Anfang zwanzig? Mister Giles ist laut meinen Akten...,“ er warf einen Blick auf seine Notizen.

 

„Auch wenn ich nicht wüsste, was Sie das angeht: Nein, auf keinen Fall!!!" Unterbrach ihn Buffy entsetzt, als sie bemerkte auf was er hinaus wollte. „Wie haben Sie uns überhaupt gefunden?“

 

Der Polizist bedachte sie mit einem recht fragwürdigen Blick, räusperte sich dann jedoch und gab ihr die Erklärung. „Ich habe einen Beamten angewiesen,“ er zeigte zur Strasse. Ein Streifenwagen parkte etwas weiter untern auf der gegenüber liegenden Seite, „Sie zu verfolgen, wenn Sie den Jahrmarkt verlassen.“

 

„Das ist ja die Höhe.. wir haben überhaupt nichts getan. Und wenn Sie etwas anderes von uns denken würden, wären Sie sicher mit einem Durchsuchungsbefehlt oder Haftbefehl oder was-weiß-ich gekommen....“ Langsam wurde Buffy wirklich sauer auf diesen steifen jungen Mann, der sicher nur seinen Job tat und sich dabei an Vorschriften hielt. Aber Buffy war es dank Sunnydale gewohnt, dass sich die Behörden meist aus abartigen Fällen heraushielten. Das hier war Neuland für sie.
 

„Sie schauen zu viele Serien.“

“Das ist Andrews Fachgebiet,“ murmelte Buffy geistesabwesend.

 

„Wie...“

 

„Vergessen Sie es.“

 

„Ich denke, für den Anfang habe ich alles,“ murmelte Delaney, steckte seinen Notizblock und Stift wieder ein. „Wir hören sicher noch voneinander.“ Delaney schien trotz seiner steifen und diensteifrigen Haltung sehr erleichtert darüber zu sein, dass ihm Miss Summers nicht gleich den Kopf abgerissen hatte und zog sich eilig zurück.

 

„Ich kann gerne darauf verzichten,“ murmelte Buffy, während sie dem Mann hinterher blickte.

 

Er würde Ärger bedeuten. Da war sich Buffy ganz sicher.


++++


Clearfield, Pennsylvania
Selbe Zeit

Faith war ein wenig durch den Raum gewandert und besah sich die Fotografien auf dem Kaminsims, die beide O’Baileys in glücklichen Zeiten zeigten. Faith kannte nicht viele Wächter und die meisten davon waren unverheiratet gewesen. Aber sicher war das Ehepaar nichts Ungewöhnliches. Schließlich waren die meisten Wächter Sprösslinge aus Wächterfamilien. Trotzdem befremdete es Faith ein wenig.

 

„Faith?“ Die mit einem weichen irischen Akzent untermalte Stimme, ließ sie ertappt herumfahren. Sie wollte nicht neugierig wirken. Aber dazu war es wohl schon zu spät. O’Bailey stand mit einem Lächeln in der Schiebetüre und wischte sich mit einem Handtuch über das Gesicht. Das lichte, graue Haar und die vielen, kleinen Lachfältchen in seinem Gesicht, ließen vermuten, dass er ein Stückchen älter war als Mrs. O’Bailey. „Ich habe gerade die Mädchen etwas trainiert.“ Er seufzte. „Knochenharte Arbeit. In meinem Alter denkt man fast schon an ruhigere Jahre und dann so etwas. Ich glaube das hat kein arbeitender Mensch verdient.“

 

Faith lächelte höflich und schluckte ein paar Bemerkungen herunter, die O’Bailey ziemlich deutlich gemacht hätten, dass er aufhören sollte, zu jammern. Sie und der Rest, einschließlich Giles und Buffy hatten viel Schlimmeres durchgemacht. Und sie hatten vor allem mehr Mädchen zum Trainieren gehabt, die alle keine Jägerinnen waren. Er hatte dagegen einen lockeren Job, musste sie nur formen und in die richtige Bahnen lenken. Ohne sie hätte er wahrscheinlich gar keinen Job mehr.

 

„Das Buch,“ fing sie stattdessen ungeduldig an. Sie wollte hier nicht zu einem Kaffeekränzchen und wenn das Buch so wichtig war, wollte sie es so schnell wie möglich in Giles Händen wissen.

 

„Sicher,“ O’Bailey legte das Handtuch zur Seite und kam in den Raum. „Ganz wie man dich immer beschrieben hatte. Direkt, ungeduldig…“

 

Faith blinzelte erstaunt ehe ihr einfiel, dass sie es hier mit einem „richtigen“ Wächter zu tun hatte. Keinen Jungspund, der seine Ernennung den Umständen verdankte. Der Mann wusste sicher jedes Detail über sie und das gefiel ihr nicht. Ihr Gesichtsausdruck wurde härter.

 

„Na ja, die Zeiten haben sich geändert. Unter anderen Umständen hätte wohl ein Anruf von mir genügt, um dich aus dem Verkehr zu ziehen. Heute,“ O’Bailey zuckte mit den Schultern und ging zu einem Schreibtisch in einer Ecke, „haben andere das Sagen. Meinungen wie meine zählen nicht mehr viel.“ Etwas klirrte leise, als der Wächter einen Schlüssel aus einer Schublade nahm.

 

Faith schwieg. Wenn auch nur mit knirschenden Zähnen. Sobald sie das Buch hatte, würde sie so schnell wie möglich von hier verschwinden. Ihre innere Wut auf diesen Mann stieg von Sekunde zu Sekunde. Alleine der Gedanke daran, beweisen zu müssen, dass sie längst nicht mehr DIESE Faith war, von der er sprach, bewirkte, dass sich Faith auf geballte Fäuste beschränkte. Ja, sie war noch launisch, auch stürmisch und ungeduldig. Aber die neue Faith in ihr hatte so vieles dazu gelernt – was es bedeutete für andere Verantwortung zu übernehmen. O’Bailey wusste ja nicht, was er da redete.

 

Der Wächter hatte inzwischen ein Bild von der Wand abgenommen und dahinter kam ein Safe zum Vorschein. Der Schlüssel wurde ins Schloss geführt, etwas klickte und O’Bailey öffnete die Türe. „So, da hätten wir es.“ Er nahm ein großes, ledergebundenes Buch heraus. Es schien in bester Verfassung zu sein und Faith stieß erleichtert die Luft aus. „Bitte schön.“ Er reichte es ihr und Faith legte vorsichtig ihre Hände darum.

 

„Leute wie Rupert Giles sind viel zu leichtgläubig,“ fuhr O’Bailey fort und ließ das Buch nicht los. „Hätte er nicht angerufen, hätte ich dich nicht einmal bis auf die Veranda gelassen. Wer einmal daneben tritt, wird es immer wieder tun.“

 

„Wenn Sie meinen,“ murmelte Faith, deren Wut von einer Art Verzweiflung abgelöst worden war. Verzweiflung darüber, dass sie doch nicht so schnell ihrer Vergangenheit entfliehen konnte. Mit Buffys Feindseligkeit oder Ablehnung von Giles’ Seite hätte sie leben können, aber diesem Mann hier hatte sie nie etwas getan. Er sprach nur vom Hörensagen und trotzdem lehnte er sie ab, wobei er sie nicht einmal näher kannte. Aber es tat weh, auch wenn Faith es sich nicht eingestehen wollte. „Uhm, danke,“ fügte sie hinzu, als O’Bailey das Buch endlich los ließ. Sie hielt sich nicht länger auf, murmelte eine Verabschiedung und floh in den Bus. Robin hatte einen fragenden Blick für sie übrig, den sie aber gekonnt ignorierte, das Buch stolz auf den Tisch legte und knapp „Fahr los,“ befehligte.

 

….

 

„Ein nettes Mädchen,“ sagte die Stimme von Lisha O’Bailey über Keirans Schulter hinweg, der mit düsterem Blick hinter der Fliegengittertüre stand und dem weiterfahrenden Bus nachsah.

 

„Die Zukunft wird es beweisen müssen,“ sagte er zu Lishas Verwirrung und starrte auf die Bremslichter, als der Bus an der Kreuzung hielt und nach links abbog.


++++

Cleveland
Friedhof
In der Nacht
Officer Malone rutschte im Fahrersitz unruhig hin und her. Die blonde junge Frau, die er beschatten sollte, war auf diesem Friedhof verschwunden. Vor einer halben Stunde. Er war sich unsicher darüber, ob er ihr folgen sollte oder nicht.

 

Er warf einen raschen Blick auf die Akte neben sich. „Buffy Summers“ stand handschriftlich darauf und darin befanden sich wenige, bedruckte Blätter. Sie war in L.A. geboren und zur Schule gegangen. Ihre Eltern waren geschieden, ihre Mutter vor drei Jahren verstorben. Eine kleine Schwester befand sich in ihrer Obhut. Von LA. aus waren sie nach Sunnydale gezogen. Einer Stadt, die nicht mehr existierte. Es war ihnen im Revier ein Rätsel, wie sie dem Einsturz entkommen waren.      

 

Delaney war misstrauisch geworden und die Befehle waren eindeutig. Nur konnte keiner ahnen, dass die junge Lady nachts auf Friedhöfe ging. Vielleicht gehörte sie zu jenen Gruppen, die schwarze Messen abhielten oder Friedhöfe schändeten.. also genug Gründe auszusteigen, um nach dem Rechten zu sehen. Malone biss in den letzten Donut, dessen Zuckerhaube seine Lippen einstaubte, ohne das es ihn gestört hätte, und stieg mit einer Stablampe in der Hand aus. Er knipste sie ein und schritt auf das Gatter zu.

 

Den großen, unförmigen Schatten, der sich auf der anderen Straßenseite über die Hausfront schob, bemerkte Malone dabei nicht.

 

Ein merkwürdiges Gefühl beschlich Malone, als er den Friedhof betrat. Es gefiel ihm nicht, aber er musste es wohl „Angst“ nennen. Die Lampe wanderte zwischen den Schatten hindurch, aber er sah niemanden, noch hörte er etwas. Vielleicht ging er doch lieber zurück zum Wagen, meldete sich über Funk und gab den Stand der Dinge durch. Vielleicht durfte er früher Feierabend machen und kam doch noch zu einer Pizza von „Lorenzo“ und zu seiner Aufzeichnung des Footballspiels von gestern.


Ein plötzliches Geräusch hinter ihm, ließ ihn herumfahren. Ein Rascheln. Doch da war nichts zu sehen, als er die Lampe in die Richtung schwenkte. Allerdings war es seine Pflicht, genauer nachzusehen. Vielleicht war es nur eine Katze gewesen, beruhigt ihn sein Verstand.


Er verließ den gepflasterten und beleuchteten Weg und näherte sich dem Gebüsch, das die Steinmauer auf der Innenseite verdeckte. Er hörte das Rascheln erneut und richtete den Lichtstrahl auf die Äste und Blätter.

Eine Katze sprang hervor und Malone atmete erleichtert auf. Er war über vierzig und verhielt sich gerade wie ein verängstigtes Kind. Davon würde er seinen Kollegen bestimmt nichts erzählen. Sie würden sich nur lustig machen.

 

Malone wandte sich herum, um zurück zum Hauptweg zu gehen, als ihn ein großer, massiger Schatten ansprang und unter sich begrub. Sein erschrockener Aufschrei ging in ein gurgelndes Geräusch über, als das Monster seine Kehle zerfetzte und die Nacht einmal mehr von reißendem Stoff und Fleisch erfüllt wurde.

++++

AKT 3

Cleveland, Giles Wohnung
nächster Morgen

“Vorsichtig mit dem Karton,“ rief Buffy besorgt die Treppe nach unten, als Unheil verkündende Geräusche aus dem Flur nach oben drangen.


“Und wenn es geht, eine Spur leiser,“ Giles blickte auf seinem Weg in die Küche verstimmt in Buffys Richtung. Buffy lächelte nachsichtig, doch der sorgenvolle Ausdruck wurde damit nicht völlig verscheucht. Giles war unrasiert und recht nachlässig gekleidet. Fast so, als habe er in seinen Sachen geschlafen. Erneut musste sie an die Ereignisse vor fast sechs Jahren denken. Erschreckende Ähnlichkeiten. Einmal mehr dachte sie auch über die Neuigkeiten von gestern nach – die tote Wahrsagerin. Aber sie wollte nicht weiter darüber grübeln, ob Giles damit vielleicht etwas zu tun haben könnte. Das war doch absurd. Giles würde niemals einen Menschen töten.

 

„Wir machen das nicht zum ersten Mal,“ rief Xander fröhlich nach oben und unterbrach Buffys Nachdenken. Das Scheppern, das folgte, rief einen panischen Ausdruck auf Buffys Gesicht. „Ist nichts passiert... war nur ne alte Vase hier unten.“

 

„Weiß, blau?“ tauchte entsetzt Giles neben Buffy auf.

 

„Eh ja,“ rief Andrews Stimme.

 

„Können wir sicher wieder kleben,“ fügte Xander hinzu.

 

„Ming Dynastie,“ flüsterte Giles an der Schwelle zu einer kleinen, männlichen Hysterie. „Kleben...,“ verdrehte er die Augen und bekam von Buffy einen verständnisvollen Blick voller Mitleid zugeworfen, der wohl eher Ausdruck ihrer eigenen Erleichterung darüber war, dass ihrem Kartoninhalt nichts passiert war. Was Giles jedoch nicht auffiel, war der musternde Blick mit dem Buffy an Giles hoch und runter sah. Ja, er hatte ganz sicher gestern Abend zu viel getrunken oder nicht geschlafen.

 

„Der Letzte,“ stöhnte Dawn, die mit Willow einen Karton zur Treppe trug. „Geschafft,“ seufzte Dawn und schob den Karton an den Treppenabsatz. „Das dürfen dann Xander und Andrew nach unten schleppen.“

 

„Eigentlich wüsste ich gerne, für was wir zwei stark Jägerinnen hier haben,“ grinste Willow, sah aber vorwurfsvoll in die Küche, wo sich Kennedy gerade eine Wurstscheibe in den Mund schob, die sie zuvor aus Giles Kühlschrank entführt hatte.

 

„Wir müssen uns erholen,“ erklärte sie mit vollem Mund. „Und stärken. Wir haben gestern Nacht eine doppelte Schicht geschoben.“

 

„Wobei ich mich auch noch an einem Cop vorbeischummeln musste,“ ergänzte Buffy und gähnte unbewusst, bei der Erwähnung „erholen“.

 

„Polizei?“ Giles zog die Augenbrauen zusammen.

 

„Oh, haben wir vergessen, das zu erwähnen? Gestern Mittag war einer der Polizisten hier, der vorgestern am Tatort war. Sie wissen schon? Der uns verscheucht hatte?“, versuchte Buffy Giles Erinnerung aufzufrischen.

 

„Und er war hier?“ Giles war entsetzt und die Vorstellung, dass sie hier öfters Besuch von Polizisten bekommen könnten, gefiel ihm nicht. Sunnydale war groß gewesen, aber die Menschen hatten nie viel Fragen gestellt. Cleveland war ein neuer Spielplatz – sie würden wohl damit anfangen müssen, wieder zu den alten Vorsichtsmassnahmen zurückzukehren.

 

„Ja, und stellte jede Menge unangenehme Fragen,“ beendete Willow die kurze Erklärung.

Es gab keinen Grund zur Panik. Hier im Gebäude befand sich nichts, was die Polizei finden könnte, außer einer kleinen Buchsammlung mit einem interessanten Wahlthema. Aber das würde sie sicher noch lange nicht zu Verdächtigen machen und schon gar nicht, wenn sie Alibis hatten. Hatten sie doch? Giles Kopf brummte und das Nachdenken fiel schwer. 

“Oh...,“ Buffy schimpfte sich selbst einen gedankenlosen Menschen, als ihr einfiel, dass Giles noch gar nichts von dem Mord wusste. „Er sagte uns auch, dass die Wahrsagerin ermordet wurde. Kurz nachdem wir den Jahrmarkt verließen.“

 

„W-was?“ Giles sah sie schockiert an. Seine Gedanken überschlugen sich, wanderten zurück zu der Todeskarte und den Worten der Zigeunerin. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken.

„Er scheint uns im Auge zu haben. Als Verdächtige. Aber so schnell wird er schon nicht wieder hier auftauchen. Dafür war ich zu charmant,“ grinste Buffy.
 

„Ich wäre mir da nicht so sicher.“
 

Alle zuckten zusammen, als die fremde Stimme auf der Treppe erklang. Delaney stand auf der Mitte des Aufganges und wirkte weniger amüsiert.

 

„Oh, wenn man vom Teufel spricht,“ Buffy verdrehte die Augen. „Haben Sie noch immer nicht genug von ihren Columbo-Spielchen? Hören Sie zu, egal was da.. eh wer da draußen umher geht und Leute tötet.. wir haben sicher nichts damit zu tun.“

 

„Sagen das nicht alle?“ Delaney sah sie eindringlich an.

 

„Ich weiß nicht! Ich habe keine große Berufserfahrung als Serienkiller,“ sagte Buffy herausfordernd und in ihren Augen blitzte es gefährlich. „Aber vielleicht haben Sie Lust uns zu sagen, was Sie jetzt schon wieder wollen? Ist Ihnen doch noch eine kluge Frage eingefallen?“

 

„Sie erinnern sich an den Beamten vor Ihrer Tür? Nun, sein Wagen wurde auf dem Parkplatz eines Friedhofes gefunden. Er selbst lag im Gebüsch. Zerfetzt. Ich bezweifle, dass Ihnen etwas dazu einfällt?“ Delaney zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. Buffy war schockiert und sie konnte nicht verhindern, dass ihr Gesichtsausdruck sie verriet. Natürlich war sie über das weitere Opfer bestürzt, aber mehr noch war sie darüber überrascht, dass sie den Polizisten nicht abgehängt hatte. Sie hatte sich in falscher Sicherheit gewogen.


‚Wir werden vorsichtiger sein müssen,’ dachte sie und schenkte Delaney ein breites Lächeln, mit dem sie hoffte, ihn für sich zu gewinnen. „Bin ich jetzt verhaftet?“

+++



Motelzimmer
später Nachmittag.
Der Stadtplan von Cleveland lag vor Ethan auf dem Motelboden. Eine rote Stecknadel markierte eine Stelle, die von Ethan zusätzlich eingekreist worden war. Weitere Stecknadeln hatte er verstreut auf der Karte angebracht. Jede stand für einen möglichen Aufenthaltstort von Rupert und seiner Jägerin. Er hatte zwar die Adresse bekommen, aber auch die verwirrende Information, dass die Stadt mehr als eine Jägerin beherbergte. Ihm war zwar bekannt, was in Sunnydale geschehen war, aber nicht die Einzelheiten. Darum wollte Ethan alle Möglichkeiten in Betracht ziehen und nichts dem Zufall überlassen.


Um die Karte herum standen kleine Teelichter. Sie symbolisierten den Kreis, die Grenze, die er mit seinem Zauber aussprechen würde, um alles innerhalb des Kreisradius zu erfassen. Noch brannten sie nicht. Noch war er nicht mit den Vorbereitungen fertig. Er stand auf und griff in einen der Kartons, die auf seinem Bett standen. Ein großes, breites Ritualmesser kam zum Vorschein....

 

+++


Buffys und Dawns neue Wohnung
früher Abend
“Das nächste Mal, wenn wir zu einem Verhör müssen, erinnert mich daran meinen Anwalt anzurufen.“ Xander stieß aufgebacht die Türe zu Buffys und Dawns kleiner aber neuer Wohnung auf. Er sah müde und abgekämpft aus. Aber auch aufgebracht und wütend.

 

„Du hast einen Anwalt?“ Buffy klang ungläubig, als sie hinter ihm eintrat und ebenfalls nicht sehr glücklich aussah. Beide hatten keinen Blick für den schönen Sonnenuntergang, dessen tiefrote Farbe durch die Wohnzimmerfenster fiel und der Wohnung einen besonders schönen, warmen Ton verlieh.

 

„Firmenanwalt. Kostet nicht viel, außer einem kleinen Sonderbreitag, der vom Lohn abgezogen wird. Ist eine gute Einrichtung.“ Er ließ den Karton auf den Boden plumpsen. Buffy schob ihre Kiste obendrauf. „Und wie man sieht, kann man das immer mal gebrauchen. Wir wären sicher nicht so lange dort gewesen.“

Dawn, Willow und Kennedy schleppten hinter ihnen weitere Kartons und Körbe herein, während Andrew mit zwei Koffern bestückt als letztes in die Wohnung kam.

“Genaugenommen haben sie ja nur unsere Alibis überprüft. Und daran kann man nichts rütteln. Und Giles versucht, zusammen mit Lily jetzt mehr über dieses Wesen herauszufinden, damit wir dem Ganzen ein Ende setzen können.“

“Selbst wenn.. glaubst du der Polizist lässt uns noch einmal aus den Augen? Der hält uns doch nicht für koscher.“ Xander ließ sich auf die neue Couch der beiden jungen Summers fallen.

 

„Wäre das nicht ein Fall für Prue,“ grinste Dawn und Andrew kicherte.

 

„Das muss ich jetzt nicht verstehen oder?“ Irritiert sah Buffy die beiden an.

 

Xander mischte sich grinsend ein. „Nicht so wichtig.. und überhaupt ich stehe nicht auf männliche Polizisten,“ sagte er todernst in Dawns und Andrews Richtung. „Das sollten Phoebe und Piper aber wissen. Ich bin eine männliche Ausgabe von Prue.“

 

„Ja, aber nur in der Realität. In der Rollenverteilung…“

 

„Hey.. könnten wir uns mal wieder konzentrieren?“ Mischte sich Kennedy genervt ein und unterbrach Andrew. „Ich finde es ja immer wieder toll, wenn ihr euch so großartig versteht, aber hier geht es um Giles!“

 

Betreten schwiegen die drei und beschlossen für sich wenigstens ein paar Minuten still zu sein. Buffy nickte. „Kennedy hat recht,“ ‚und ich glaubte, ich würde niemals diese Worte über die Lippen bringen’. „Bleiben wir beim Thema und hoffen auf die Recherche.“

 

„Hoffentlich findet er etwas. Es macht mich langsam nervös,“ meinte Ken knapp und stellte ihren Korb zu den restlichen Umzugskartons.


“Das Monster oder Giles,“ scherzte Dawn und bekam von Buffy einen bösen Blick zugeworfen, der sie zwang nichts mehr weiter dazu zu sagen. ‚Mist.. ich hab es nicht einmal eine halbe Minuten geschafft meine Klappe zu halten,’ seufzte Dawn in Gedanken.

 

„Beides,“ gab Ken unverfroren zu. „Er ist merkwürdig drauf. Das müsst ihr zugeben und ich habe das Gefühl, er weiß mehr, als er uns glauben lässt. Habt ihr ihn schon mal so erlebt?“ Sie sah zwischen den anderen hin und her. Willow nickte langsam und Xander seufzte.

 

„Ja, es gab schon einmal ähnliche Ausfälle,“ gab Buffy zu. „Eyghon. Ein Dämon, den er erschaffen hatte. Also, als er noch jünger war. Mit Freunden. Ich hoffe nur, dass es diesmal etwas anderes ist. Probleme mit dem Rat, mit Jägerinnen...“.

 

„Damals trank er, war unkonzentriert, unzuverlässig,“ zählte Xander die unschönen Erinnerung an diesen Giles von damals auf.

 

„Oh, ich habe ihn gestern auch trinken sehen. Mehr als sonst,“ fügte Dawn hinzu und sah ihre Freunde und dann Buffy besorgt an. „Ich glaube, das ist kein gutes Zeichen?“

 

„Mehr als sonst?“ Verwirrt blickte Xander Dawn an, die aber den Kopf schüttelte. Sie wollte hören, was Buffy plante, um der Sache auf den Grund zu gehen, anstatt über Giles Art mit Stresssituationen umzugehen, zu reden. London war nicht nur ein kultureller Trip gewesen. Sie hatte die Möglichkeit gehabt, viel mehr Seiten von Giles und Willow kennen zu lernen, als ihr vielleicht lieb waren. Wobei.. die von Willow hatte sie ja größtenteils sowieso schon gekannt. Immerhin hatten sie sich lange ein Haus geteilt.

 

„Hm.. das bedeutet, Alarmstufe Rot,“ meinte Buffy düster und sah vor allem ihre beiden besten Freunde ernst an. Sie wussten nur zu gut, was passieren konnte, wenn Giles Dinge vor ihnen verheimlichte.

 

+++

 

Cleveland, unterwegs
nächster Tag, später Nachmittag

Dawn radelte wie eine Wilde über die Straße. Der Wind zerzauste ihr Haar, das unter dem Helm hervorlugte und vor Anstrengung waren ihre Wangen gerötet. Ihr war heiß und die eingebrochene spät herbstliche Kälte spürte sie kaum noch.
Shin hatte alle Mühe ihr zu folgen. Ein leiser Verdacht drängte sich ihm auf – Dawn versuchte vor einem Gespräch mit ihm zu fliehen. Schon seit Tagen.

“Hey... Dawn.. warte doch,“ keuchte er und schrie gegen den Straßenlärm an. Dawn wurde nicht langsamer und Shin gab sich alle Mühe, bis er völlig außer Atem Dawn erreichte. „Puh.. ich hätte nie gedacht, dass so viel Kraft in dir steckt.“

 

Dawn wandte ihren Kopf und starrte Shin entsetzt an. ‚Er hat es bemerkt...’, aber langsamer machen konnte sie einfach nicht. Shin wollte sicher über die Nacht nach dem Hallowe’enball reden. Was sollte sie ihm sagen? ‚Hey.. meine Schwester ist eine Jägerin? Sie weiß was sie tut? Alles wird gut?’

 

„Können wir mal ne Pause machen und reden?“, schlug Shin vor.

 

Dawn schüttelte den Kopf und trat erneut kräftig in die Pedale. Sie hängte Shin ab, bog in eine Seitenstraße ein und kam ins Schlittern. Das Rad ließ sich nicht mehr steuern und Dawn sah sich dem Asphalt entgegen fliegen, als das Fahrrad zur Seite rutschte und unter einem Pick-Up zum Liegen kam.

Dawn spürte ihre Knie hart auf dem Boden aufschlagen, ihre Hände rutschten nach vorne weg und wurden aufgeschürft. Benommen blieb sie im Vierfüßlerstand und starrte den Straßenbelag an. Plötzlich fühlte sie sich von zwei starken Armen in die Höhe gerissen und wurde zur Seite gezogen. Erst jetzt realisierte Dawn den Wagen, der an ihnen vorbeischoss. Er hätte sie überfahren, wäre Shin nicht so geistesgegenwärtig gewesen.

“Danke,“ murmelte Dawn und befreite sich aus seinen Händen, die einen überraschend starken Griff hatten. Sie blickte an ihrer Jeans nach unten. Ein Loch prangte auf der rechten Seite und gab den Blick auf ein aufgeschürftes Knie frei. Auch ihre Handflächen sahen übel aus... eine davon blutete sogar.

 

„Du kannst einem einen ganz schönen Schrecken einjagen,“ sagte Shin ernst. Er holte ein Stofftaschentuch aus seiner Tasche hervor, und band es um Dawn’s verletzte Hand. „Wir sollten zurückfahren, damit du die Verletzung fachgerecht versorgen kannst. Wir haben Verbandszeug und Desinfektionsmittel in der Zentrale.“

 

„Mir geht es gut, wirklich,“ versicherte sie. „Machen wir unsere Tour fertig, es ist ja nicht mehr viel. Um meine Hand kümmere ich mich später.“

 

„Okay. Shin wandte sich ab, um über die Straße zu rennen. Er wollte Dawns Rad holen und nachsehen, ob sie damit noch fahren konnte. Wie es schien, war mit dem Drahtesel alles in Ordnung. Er schob das Rad auf die andere Straßenseite zu Dawn rüber. „Scheint nichts abbekommen zu haben. Im Gegensatz zu dir.“

 

„Tut.. tut mir leid,“ murmelte Dawn und langte sich an die Stirn. „Ich wollte nur... nur...,“ fast wäre sie in Tränen ausgebrochen, ohne zu sagen wieso. Shin war ein so netter Junge und sie war zu feige, um mit ihm zu reden. Dabei war er doch nach dem Ball sehr verständnisvoll gewesen und hatte ein Recht darauf Antworten auf seine Fragen zu bekommen.

 

Nur was sollte sie ihm sagen? Meine Schwester ist eine Jägerin? Sie kämpfte gegen Dämonen und Vampire? Alles wird gut?


Er würde sie bestimmt für verrückt erklären. Selbst nachdem er mitangesehen hatte, wie sich Marvin vor ihren Augen in einen Dämon verwandelt hatte.

 

„Nicht mit mir reden,“ beendete Shin Dawns Satz mit einem breiten, warmen Lächeln. „Hey, kein Problem. Wahrscheinlich hat dich der Anblick von diesem Typen so erschreckt, dass du damit erst einmal klar kommen musstest. Deine Schwester ist allerdings.. ganz schön tough. Wenn es dir danach ist.. zum Reden.. ich bin jederzeit für dich da.“

 

„Was?“ Dawn sah irritiert zu Shin. Das waren nicht gerade die Worte, die sie erwartet hatte, aber sie halfen alles nicht mehr so verkrampft zu sehen. Shin grinste und Dawn konnte fast ein wenig erleichtert lächeln. Konnte es sein, dass Shin nur versuchte, mutig zu wirken, um Eindruck zu schinden, oder waren ihm manche Gestalten der Nacht schon selbst begegnet? Doch sie würde Shin das ganz bestimmt nicht fragen aus Angst vor entsprechenden Gegenfragen.

 

„Bist du soweit?“ Shin stieg bereits auf sein Fahrrad auf und Dawn folgte ihm.

 

+++

 

Giles Schlafzimmer
in der Nacht
Im dunklen Raum, ohne vorgezogene Vorhänge, half nicht einmal das spärliche Licht des Halbmondes, damit sich Giles orientieren konnte. Er bewegte sich unkontrolliert darin umher und plötzlich zerbrach etwas klirrend auf dem Boden. Giles fluchte laut, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob man ihn in den Nebenräumen hören konnte.

 

Erst da wurde ihm bewusst, dass er nur noch Lily stören konnte. Genau genommen war er sich gar nicht mehr so sicher darüber, ob ihn Buffys und Dawns Auszug tatsächlich so erleichterte, wie er immer geglaubt hatte. Jedenfalls empfand er die Wohnung fast erschreckend ruhig und am späten Nachmittag war sie ihm richtig ausgestorben erschienen.

Durch das Zimmer stolpernd, schaffte er es bis zur Türe, ohne sich noch einmal irgendwo empfindlich zu stoßen. Giles fingerte nach dem Lichtschalter. Überrascht stellte er dabei fest, dass er wieder funktionierte. Auch hier erinnerte er sich mit leichter Verzögerung daran, dass Xander erst vor ein paar Wochen hier gewesen war, um ihn zu reparieren.

 

Das Licht flackerte auf und enthüllte ein zerbrochenes Glas. Dessen Inhalt, eine bernsteinfarbene Flüssigkeit, sickerte unaufhaltsam in den Teppichboden. Erneut fluchte Giles, fuhr sich über das Gesicht und sackte müde auf sein Bett zusammen. Die lang verdrängte Vergangenheit hatte ihn einmal mehr eingeholt und auch wenn ihm seine Erfahrungen aus Sunnydale gelehrt hatten, dass es besser sei, mit seinen Freunden über Probleme zu reden, konnte er es nicht. Es war eines mit Buffy über Ethan, Orgien und Fehlern zu reden, als es für weitere Lügen schon zu spät gewesen war, aber es war etwas völlig anderes, mit ihr und den anderen freiwillig über persönliche Dinge zu sprechen, die viel weiter zurück reichten und von denen er nicht einmal genau wusste, ob sie etwas mit ihrem neuesten Fall zu tun hatten.

 

Der einzige Mensch, Lily, der wirklich wusste, was los war, hielt seine Angst für unbegründet. Sie war also auch nicht der richtige Ansprechpartner.

Er schloss die Augen und gab sich dem schläfrigen Gefühl seines Körpers hin. Er war so unendlich müde. So erschöpft. Die letzten Nächte hatte der Wächter nicht geschlafen, aus Angst vor den Erinnerungen und Träumen....

 

.... Karten blitzen vor seinen Augen auf und er sah Sinas Gesicht verschwommen vor sich schweben. Dann hoben sich aus den Tarotkarten fünf hervor - Kaiserin, Bube, Königin der Stäbe, der Mond und der Tod - dann stand er plötzlich im Garten seines Elternhauses. Es war dieselbe Erinnerung wie vor einem Tag – es war wieder Nacht, der Vollmond schien und irgendwo plätscherte Wasser....

 

Das war neu, kam ihm kurz in den Sinn, ehe er nach unten blickte... Blut glitzerte im Mondlicht auf seinen Händen. Als er wieder aufsah, in Erwartung des anklagenden Gesichtsausdruckes seines Vaters, sprang ihn ein großer, unförmiger Schatten an.

 

Giles wollte aufschreien, doch plötzlich fühlte er sich aus der Szene gerissen und fand sich wieder inmitten seiner alten Freunde, an jenem Abend, als sie Eyghon beschworen. Sie saßen im Kreis, in ihrer Mitte stand die längst von Giles verdrängte Opferschale und das Feuer brannte bereits in ihr. Er blickte auf seinen Unterarm, auf dem die Tätowierung schwarz und frisch prangte. Neben ihm warf Ethan LSD ein und Thomas stand auf, um sich auf den Schlafzustand vorzubereiten. Deidre verlangte von Ethan die nächste zu sein, als Ethan die Tüte mit dem LSD in die Höhe hob. Philip faste ihr unter den Rock und versprach, dass sie schon noch an die Reihe käme. Sie lachte anzüglich auf. Ein Schatten ließ ihn zur Opferschale blicken – Eyghon, der auf ihn zukam.

 

Sein Schrei erstarb erneut auf seinen Lippen, als er der Szene entrissen wurde. Das Bild vor seinen Augen klärte sich auf und Jennys lebloser Körper auf seinem Bett offenbarte sich ihm. Erneut zerschellte die Champagnerflasche auf dem Boden und das Bild wich der Karte des Mondes....

 

...Giles schreckte hoch. Er war tatsächlich eingeschlafen und hatte die Träume zugelassen. Schweiß stand auf seiner Stirn und er stöhnte unter den Eindrücken und Nachwirkungen des Traumes. Er glaubte zu erfassen, was Sina ihm mit den letzen vier Karten hatte sagen wollen, nur verstand er nicht, wer der Mond in seinem Leben war. Erschöpft stand Giles auf und griff nach der Scotchflasche. Würde es bedeuten, er brachte jemanden in seiner Nähe den Tod oder jemand, der ihm etwas bedeutete, würde sterben?

Aus Mangel an einem Glas, setzte er die Falsche einfach an und versuchte die Angst, die Schuldgefühle und die schlechten Gedanken weg zuspülen, ehe er sich zurück zu seinem Bett schleppte und sich so wie er war niederlegte, um doch noch erholsamen Schlaf zu finden...
 

+++


Ein Friedhof
selbe Nacht.

Die Nacht war unangenehm kühl und Buffy vermisste nicht zum ersten Mal seit sie nach Cleveland gekommen war, das warme Klima Kaliforniens. Sie war ein Kind der Westküste… lange Sandstrände, Klippen, hohe Wellen und Sonne, aber auch salziger Nebel war ihr nicht unbekannt. Allerdings war er nie so zäh und feucht gewesen wie in dieser Stadt und heute Nacht. Vielleicht lag es auch einfach an der Nähe des Sees. Wäre dies hier Sunnydale gewesen, hätte Buffy darauf getippt, dass heute Nacht etwas Großes passieren würde. Doch sie fühlte für diese Stadt noch nichts; hatte auch kein Gespür für die Gefahren, die nachts über Cleveland einbrachen. Alles war fremd, alles war neu.

 

Und doch sollte es hier einen Höllenschlund geben. Sie seufzte, schlug ihren Kragen hoch und kuschelte sich in ihren Mantel. Der Pflock hing lässig in ihrer rechten Hand an der Seite herunter und Buffys Gedanken schweiften weiter ab.

Sie hatten in letzter Zeiten genügend Beweise für einen Höllenschlund gesammelt. Angefangen von der Vampirsekte mit einem Meister bis hin zu einer dämonischen Organisation, von der sie noch nicht wussten, was sie für Ziele hatten. Selbst Hallowe’en war wieder einmal flach gefallen. Nur wussten sie leider nicht, wo der Höllenschlund lag. Aber er existierte. Ihr Blick wanderte zurück zur Friedhofsmauer, darüber hinweg zum Erie-See, der unter der Nebeldecke verborgen lag.

“Ich sollte mich besser konzentrieren,“ murmelte Buffy und erinnerte sich Giles Worte über das Monster. Es war erschreckend, wie sehr Giles davor Angst zu haben schien. Hätten sie alle vor Monaten nicht dem Urbösen gegenüber gestanden, wäre Buffy vielleicht nicht so besorgt gewesen. Aber wenn es doch noch etwas gab, dass Giles noch mehr Angst machte, dann sollte sie es ernst nehmen.

 

Sie zwang ihren Blick zurück auf die Grabsteine, spähte in die Nacht und in die Schatten. In Sunnydale hatte es mehr Gruften gegeben und mehr Vampire. Vielleicht hatte sich der Höllenschlund noch nicht herumgesprochen oder seine Aktivitäten waren längst nicht so stark wie in Sunnydale. Es gab selten nachts Beute. Möglicherweise lag es auch an den Jägerinnen...


’Was tu ich eigentlich hier,’ Buffy blieb stehen und drehte sich um ihre Achse. Hier war nichts los und die Kühle, der Nebel und die Feuchtigkeit täuschten mit ihrem gespenstischen Anblick nur über eine friedvolle Nacht hinweg. Egal wo das Monster heute zuschlagen würde, es würde nicht hier passieren.

Einmal mehr kam ihr der Gedanke, dass Kennedy mit dieser Stadt alleine zurecht kommen würde. Sie musste nicht Nacht für Nacht beweisen, dass sie es noch drauf hatte, dass es sie noch immer interessierte, dass sie.. einfach Buffy war. DIE Jägerin und nicht eine von vielen war. Doch dabei hatte sie sich immer ein anderes Leben gewünscht. Jetzt wo sie es hatte, war es nicht genug. Was wollte sie eigentlich genau? Hatte ihr die Reise nicht die Antworten liefern sollen? Hatte sie nicht genügend Abstand von allem genommen, um mit sich und den Geschehen in Sunnydale ins Reine zu kommen?

 

Sie wusste es nicht. Und so lange sie es nicht wusste, würde sie weiter kämpfen. Denn egal was sie einmal für sich und ihr weiteres Leben beschließen würde, sie würde nicht einfach vergessen können, was für Gefahren hier draußen in der Welt lauerten. Würde sie sich sonst noch im Spiegel anschauen können, wenn sie dem allem den Rücken kehrte, nur weil sie ihres Jobs überdrüssig wurde? Des Kämpfens müde war? Wahrscheinlich nicht. Krisen im Leben galt es zu bewältigen und bis jetzt hatte sie das doch immer ganz gut gepackt. Sie konnte und wollte die Welt nicht im Stich lassen. Auch wenn jetzt über all auf der Welt Hunderte, Tausende Jägerinnen aktiviert waren, die dank ihrer geteilten Kräfte mit dem Bösen aufräumen konnten.

 

‚Ich hätte jetzt wirklich nichts gegen eine gute Prügelei’, stöhnte Buffy innerlich über ihre Gedanken auf. Alleine auf Patrouille zu sein konnte einen ganz schön zusetzen. Die Gedanken ließen sich nicht verbannen, jetzt wo Buffy einmal das Tor zu ihnen aufgestoßen hatte.

 

„Oops....Aua,“ Buffy stolperte nach vorne und prallte mit der Schulter gegen einen alten, zerfallenen Grabstein. Ihr Blick wanderte zurück zum Boden. Eine Wurzel hatte sie zum Stolpern gebracht. „Ich sollte jetzt wirklich besser aufpassen.“

 

Sie stemmte sich in die Höhe und dabei fiel ihr Blick zurück auf den alten Grabstein: ‚Law’. Meine Güte... war das Zufall? Buffy wischte das Moos zur Seite, das sich überall auf dem Grabstein breit gemacht hatte. Nein, da stand tatsächlich ‚Law’.  Spike. Die Gruft... jetzt war sie doch da angelangt, vor dem sie sich so viele Monate gefürchtet hatte. Sie war aus Amerika weggegangen und mit Dawn, Giles und Willow nach Europa geflogen. Sie hatten nie darüber gesprochen, was mit Spike passiert war. Wie damals bei Angel hatte sie niemand gefragt oder auf Antworten gedrängt. Und sie hatte wie üblich alles von sich weggeschoben. Es war ihr meist gelungen und zur Ablenkung hatte sie Dawn Europa gezeigt. Nebenbei sammelten sie gleich ein paar Jägerinnen für Giles ein.

 

Als sie weiter reiste, ohne Dawn, war es als Entspannung geplant gewesen. Doch in Wahrheit war sie vor den Erinnerungen geflohen, die aufkamen, wenn sie mit den Menschen zusammen war, die ihr geblieben waren und vor den Entscheidungen, was sie mit ihrem neuen Leben anfing. Sie hatte ihre Last nicht abgelegt, das war ihr bewusst.. sie hatte sie nur verteilt und dafür gesorgt, dass sie nicht mehr alleine alle Probleme mit Vampire und Dämonen lösen musste.

 

Doch am Ende war ihr klar geworden, dass sie lernen musste, mit der Situation, den Verlusten und Zukunftsängsten umzugehen. Es war langsam die Zeit gekommen, sich mit all den Dingen auseinander zusetzen, wenn sie jemals wollte, dass die Ängste und der Schmerz aufhörten.

 

Es gab so vieles, das sie verloren hatte. Erinnerungen, die überall in ihrem Haus verteilt gewesen waren, Bilder, Stofftiere, Briefe, selbst Mr. Gordo und in einer Schmuckschatulle hatte der Ring von Angel gelegen. Es gab die Karten von Riley, bis er aufgehört hatte zu schreiben. Ihre von Xander gezimmerte Waffentruhe, die Jahrbücher ihrer Mutter, Bilder mit ihren Freunden und selbst das überaus kitschige Armbändchen von Xander, das er ihr vor so vielen Jahren geschenkt hatte, um ihr Glück bei den Cheerleaderauswahlen zu wünschen, hatte sie aufgehoben.

 

Dann war da die Stadt selbst, voller Erinnerungen - das Espresso Pump, in dem sie so manche Aussprache geführt hatte, ihr über alles geliebter Treffpunkt das Bronze, das erst renoviert und neu eröffnet hatte, die Friedhöfe, die sie mit Angel, später mit Faith und vor nicht all zu langer Zeit mit Spike gesäubert hatte.. die Liste war unendlich lang und Buffy spürte wie ihr die ersten Tränen in den Augen brannten.

Doch die Tränen konnten die Erinnerungen auch nicht wegwaschen. Und gerade in Spikes Fall waren sie besonders bitter. Sonderbarerweise hatte sich dies nicht mit der Zeit geändert, sondern war schlimmer geworden, seit sie Distanz gewonnen hatte und alles klarer überblicken konnte. Spikes letzte Worte waren die Wahrheit gewesen. Sie hatte ihn nicht geliebt, jedenfalls nicht so, wie sie es sich eingeredet hatte und er hatte es gewusst.


Im Rückblick war ihr dies jetzt klar, auch wenn ihre eigene Motivation für sie selbst eher schwammig erschien. Vielleicht hatte sie sich selbst etwas vorgemacht, hatte vielleicht selbst geglaubt, etwas für den Vampir zu empfinden. Und eventuell hatte sie ihn sogar lieben wollen, wenn auch nur aus Dankbarkeit für seine Unterstützung. Hatte sie sich selbst dazu zwingen wollen, allein, um wieder gut zu machen, was sie ihm angetan hatte? Und dabei vergessen, wie er mit ihr verfahren war?

Ja, es war bitter und es wurde noch schlimmer dadurch, dass sie sich selbst nicht verstand. Wenn sie es schon nicht konnte, wer würde sie dann jemals verstehen?


Ein schiefes Lächeln schlich sich auf ihr tränenfeuchtes Gesicht, als ihre Gedanken bei dieser Frage verharrten. Alle, die sie zumindest ansatzweise hatten verstehen können, die ihre Einsamkeit und ihre Unsicherheit, ihre dunklen Seiten nachvollziehen konnten, waren Untote gewesen. Angel, Dracula, Spike....


Nicht nur war der Tod ihre Gabe, sie zog Tod und Totes magisch an.

Das gleiche galt auch für ihre Freunde.

Was ihre Gedanken auf einen weiteren Namen auf der Verlustliste brachte.... Anya. Sie fuhr sich mit der freien Hand über ihr nasses Gesicht und seufzte. Es war verrückt darüber nachzudenken, dass sie noch vor einem Jahr bereit dazu gewesen war, Anya zu töten, weil sie als Rachedämonin zu sehr über die Stränge geschlagen hatte. Sie hatte es nie offen zu gegeben, aber in dem Moment, als Anya für alle Zeiten wieder menschlich wurde, war sie sehr erleichtert gewesen.

 

Jetzt hatte sie deswegen ein schlechtes Gewissen. Anya könnte noch leben, wäre sie nicht menschlich und verletzbar gewesen. Und die Frage was gewesen wäre, wenn Anya nicht als Mensch, sondern als Dämon mitgekämpft hätte, kam erneut auf. Vielleicht war es leichter, damit fertig zu werden, wenn sie sich vorstellte, dass Anya mutig in den Kampf gezogen war und mit Sicherheit genauso mutig ihr Leben gelassen hatte ...

 

Nein, dass war es nicht.. stellte Buffy traurig fest, als sie für einen Moment ihre Gedanken unterbrach und in sich hineinlauschte. Anya war über die Jahre zu einer guten Freundin geworden, auch wenn sie von Zeit zu Zeit nerven konnte und verrückte Ideen hatte. Buffy musste nur an das furchtbare, grüne Kleid denken, in das Anya sie und Willow am Tag ihrer Hochzeit gesteckt hatte. Der Gedanke half Buffy zu lächeln und die Tränen zu trocknen.

Ein Geräusch lenkte sie plötzlich ab und sie sah auf. Erneut krachte es nicht unweit vor ihr. Ihre Sinne waren auf einmal geschärft, Gedanken und nostalgische Erinnerungen wurden zur Seite gedrängt. Es schien Arbeit auf sie zuzukommen. Die ersehnte Ablenkung und Prügelei. Sie rannte los.

Vor ihr grub sich ein Vampir aus seinem Grab, ein gewisser Mathew Potter.

 

+++


Motelzimmer

selbe Zeit
Ethan beugte sich nach vorne und entzündete schließlich die Kerzen um den Stadtplan herum. Das dunkle Zimmer wurde von einem kleinen warmen Lichtschein erhellt.
Die Schale neben Ethan beinhaltete ein Pulver, nach dem er griff und dass er von seiner Handfläche aus über den Stadtplan blies. Der Staub glitzerte im Kerzenschein und legte sich auf den Plan nieder. Ein paar Staubkörner fielen in die Kerzen und verglühten mit einem Zischen.

 

Plötzlich lag das Ritualmesser in Ethans Hand und er zögerte nicht, sich damit auf dem linken Unterarm drei tiefe Schnitte zu zufügen. Das Blut des Opfers war notwendig. Das Opfer, das Rache wollte. Ethan war zu allem bereit und die Schmerzen, die durch seinen Körper jagten war die Rache allemal wert. Blut tropfte auf den Plan und bildete ein kleines Rinnsaal, das sich zwischen den Falten sammelte und sich mit dem Zauberpulver mischte.

Ethan schloss die Augen, hob die Handflächen nach oben und begann den Zauberspruch monoton aufzusagen, wiederholte die Worte emotionsvoller und betonte bei der dritten und letzten Wiederholung jedes Wort. Die Kerzen flackerten und Flammen schossen aus den kleinen Teelichtern unerwartet in die Höhe. Die dunkelrote Flüssigkeit strömte auf zwei Punkte auf der Karte zu und sammelten sich um zwei der Stecknadeln. Um eine, die den Friedhof markierte, wie Ethan las, und um die große, rote Stecknadel, die in der Erie Street steckte. Ein zufriedenes Lächeln umspielte Ethans Lippen. Selbstzufrieden verzogen sich die Lippen weiter zu einem breiten Grinsen. Er griff nach einer zweiten Schale und entnahm ihr einige getrocknete Kräuter, die er auf die zwei Stellen streute...

+++


Friedhof
Der Kampf war in vollem Gang. Buffy schlug dem Vampir gerade die Faust gestreckt ins Gesicht. Den Schlag hatte er zwar kommen gesehen, doch die zum Schutz hoch gerissenen Hände, hatten nicht mehr verhindern können, dass seine Nase brach. Er fing sich wieder und schlug blindlings nach der blonden, jungen Frau. Erneut taumelte er unter der Wucht einer Faustkombination gegen Kopf, Brust und Hals. Diesmal stolpert er nach hinten über eine Grabeinfassung und setzte sich hart auf sein Hinterteil.

Mit einem Knurren sprang er wieder auf die Füße.

 

‚Wie ein wildes Tier,’ durchfuhr es Buffy und sie gab dem Monster keine Zeit darüber nachzudenken, was hier eigentlich passierte. Sie ließ sich in die Knie fallen und trat ihm aus dieser Position heraus gegen die Kniescheibe. Etwas knirschte, als die Kniescheibe heraussprang und der Vampir flog rücklings auf den Boden. Er hielt sein Knie umklammert und wimmerte.


“Frischlinge“, murmelte Buffy wenig begeistert und beschloss die Sache schneller zu beenden, als sie es geplant hatte. Sie griff nach ihrem Pflock, den sie verloren hatte und holte aus. Der Vampir starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Sein Instinkt schien ihm das richtige zu signalisieren. Buffy stand über ihn, als sie sich plötzlich vor seinen Augen einfach in Luft auflöste.

Ein überrascht dreinblickender Vampir blieb alleine auf dem Friedhof zurück.

+++


Irgendwo
Giles fuhr schweißgebadet in die Höhe. ‚Diese verdammten Träume... hören nicht einmal auf, wenn man glaubt, aufgewacht zu sein.’ Irritiert blinzelte er gegen ein grelles, weißes Licht an.

 

„Aufwachen,“ murmelte er und bemerkte erst jetzt, dass er auf dem Boden eines quadratischen, kleinen Raumes lag, statt in seinem Bett. Der Boden, die Wände, die Decke bestanden aus weißen, weichen Platten. Es gab keine Fenster und keine Türe. Nur dieses grelle Licht, das ihn blendet. Mit einem Blick an sich herunter, stellte Giles fest, dass er dieselben Kleider trug, mit denen er sich ins Bett gelegt hatte. Nur seine Brille und die Armbanduhr fehlten.  Aber die lagen ja auch auf sein Nachttischchen zuhause in seinem Zimmer... in Sicherheit.

 

Panik zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er um die eigene Achse wirbelte, auf der Suche nach einem Hinweise, wo er war und der ihm die Gewissheit gab, dass er nicht mehr träumte.
 


AKT 4

Buffys und Dawns Wohnung
nächster Tag. Nachmittag.
Als Dawn von der Schule nach Hause kam und fröhlich nach Buffy rief, erhielt sie keine Antwort. Normalerweise hätte sie sich keine weiteren Gedanken darüber gemacht, aber da sie schon am Morgen hatte feststellen müssen, das Buffy gestern Nacht nicht nach Hause gekommen war, wurde ihr wirklich mulmig zumute. Mit einem besorgten Gesichtsausdruck lief sie sofort in Buffys Zimmer. Das Bett war noch immer unbenutzt und der Raum sah genauso ordentlich aus, wie am Morgen.

 

Zurück im Wohnzimmer griff sie sofort nach dem Telefon. Sie tippte eine Nummer ein und hielt den Hörer mit zittriger Hand an ihr Ohr.

Ja?!,“ vernahm sie kurz darauf Willows Stimme. Sie stieß erleichtert die Luft aus. „Willow! Gott sei Dank erreiche ich dich. Hast du Buffy heute schon gesehen? Sie ist noch immer nicht zuhause und es gibt keine Nachricht von ihr.“

 

+++

 

College
“Beruhig dich erst einmal Dawnie. Kennedy ist sich sicher, dass Buffy gestern auf Patrouille war. Ein Friedhof in der Nähe des Sees. Sie ist gleich, nachdem du heute Morgen angerufen hast, los gezogen und hat sich dort umgesehen. Sie hat nichts gefunden....

 

Bis auf... ihren Pflock,“ gab Willow schließlich  zögernd zu. „Ich habe auch bei Giles angerufen. Lily sagte mir, sie hätte Giles den ganzen Morgen und Nachmittag über noch nicht gesehen. Sein Bett ist allerdings benutzt und sie hat eine ausgeschüttete Flasche Scotch neben dem Bett gefunden.“

 

+++

 

Buffys und Dawns Wohnung
„Oh und das soll mich jetzt wie beruhigen?“ rief Dawn panisch aus. „Ich meine, das klingt ganz so wie.. na ja, in einer Stunde geht die Welt unter, aber Hauptsache meine Wäsche ist noch vorher trocken geworden!“ Dawn schluckte und sah sich in der stillen Wohnung um, die noch ziemlich leer von persönlichen Gegenständen war und deshalb kalt und fremd auf sie wirkte. 

 

„Entschuldige,“ murmelte sie geknickt. Sie hatte nicht so schroff sein wollen, aber ihre Sorge wuchs. „Was, wenn Buffy dem Monster in die Quere gekommen ist?“

+++ 

 

College
“Dann hätte Kennedy Spuren gefunden. Aber sie sagte, es hätte keine Anzeichen eines großen Kampfes gegeben. Zudem verschleppt dieses Wesen seine Opfer nicht so weit. Am besten wir treffen uns alle in ein paar Minuten im Ratsgebäude, sofern Xander und Andrew Zeit haben. Okay?“, Willow hörte von Dawn ein zögerndes Einverstanden und die beiden unterbrachen die Verbindung. Sie musste die anderen erreichen und zwar schnell.

 

+++

 

Irgendwo...

Buffy schob sich durch die enge Röhre nach vorne und fluchte, als ihr dabei ein Nagel abbrach. Der zweite, seit sie hier war. Wo auch immer ‚hier’ war. Und eigentlich hätte es hier drinnen stockdunkel sein müssen, aber ein grelles Licht, reflektiert von den weißen Platten in der Röhre, gab ihr mehr Licht zum Sehen, als Buffy lieb war. Denn es brannte in den Augen und machte sie tränen.


“Wo auch immer ich hier bin...ich hoffe es ist ein Alptraum,“ murmelte sie und hielt alarmiert inne, als unter ihr etwas nachgab. Mit einem lauten „Rums“ brach die Platte unter ihr durch und sie flog einige Meter tief auf den harten Boden eines dunklen Raumes. Sie fing sich auf den Händen ab, doch ihre Knie schlugen hart auf den Steinboden auf. Sie stöhnte und kam auf die Beine.

 

Der krasse Kontrast zur grellen Röhre, die durch das Viereck über Buffy noch kräftig ihr Licht in den Raum warf, tat Buffy erneut in den Augen weh und sie rieb sie sich.
 

Erst dann konnte sich die Jägerin umsehen. Aber ihre Augen konnten in der Dunkelheit kaum etwas erkennen. „Verdammt nicht schon wieder... ich bin müde...,“ sie rappelte sich auf die Füße. „Und wo zum Teufel bin ich nur? Da hat man nichts anders geplant, als ein paar Vampire zu vermöbeln, um den Frust los zu werden und als Dank landet man in einem ...  hmm  Labyrinth?“

 

Etwas sirrte plötzlich durch die Luft und raste von vorne direkt auf Buffy zu. Sie hörte und spürte nur den Luftzug. Als sie das gespannte Netz, besetzt mit feinen Klingen als Verursacher erkannte, war es fast zu spät für sie, um auszuweichen...

+++

 

Irgendwo...im Labyrinth

Giles saß zusammengesunken auf dem Boden, den Rücken gegen eine der weißen Wände gelehnt. Seine Hände ruhten auf seinen angezogenen Knien und seinen Kopf hatte er darauf gebettet.

 

Müde und erschöpft... zwei Zustände, die er seit er ein Kind gewesen war, gewöhnt sein sollte. Selbst die vielen schlaflosen Nächte zuvor, die Ängste und die Panik waren nichts, was ihn so leicht aus der Bahn geworfen hätte. Das Ganze hatte er erst vor Monaten durchgemacht. Jetzt, nachdem er wusste, dass sie selbst dem Urbösen trotzen konnten, hätte er diese Krise überstehen müssen.

 

Aber es war zu persönlich, als das er es von sich schieben konnte. Sein Kopf fuhr in die Höhe und mit geschlossenen Augen lehnte Giles seinen Hinterkopf gegen die Wand. Er hatte den obersten Hemdknopf geöffnet und die Ärmel nach oben geschoben. Ihm war warm von seinen vergeblichen Versuchen einen Ausgang zu finden. Unter den Augen lagen dunkle Schatten und als er sich über das Kinn fuhr, kratzte der Dreitagesbart.

 

Aufgeben war eine Option, die für Giles fast fremd war. Doch diesmal war er nahe dran. Er wusste nicht wie lange er hier schon war, noch kannte er den Grund dafür. Vielleicht suchte man ihn bereits und er würde bald wieder frei sein, aber viel Hoffnung darauf wollte er nicht verschwenden.

Ein Geräusch über ihn ließ Giles den Blick müde nach oben richten. Eine der Platten fiel vor seine Füße. Er war zu erschöpft, um aufzuspringen und um sich zu verteidigen, was auch immer da kam. Doch eine Sekunde später tauchte Buffys blonder Schopf in der Öffnung auf.
 

„Giles?“ Ehrliche Erleichterung spiegelte sich in beiden Gesichtern wieder, als sie sich erkannten. „Meine Güte bin ich froh, Sie zu sehen,“ Buffy schob sich aus der schmalen Öffnung und sprang dem Wächter vor die Füße. „Sie sahen auch schon mal besser aus.“

 

Giles sah mit müdem Lächeln zu ihr auf. „Du bist verletzt?“, er deutete auf ihren Kopf. Ihre Stirn wurde von einem langen, tiefen Kratzer überzogen. Buffy tastete danach.

”Halb so schlimm. Ich hab dafür die wertvolle Erfahrung gemacht, dass die Fallen hier doch nicht zu unterschätzen sind. Sagen Sie mir lieber, wo wir hier sind.“

“Ich weiß es nicht“, sagte Giles resigniert.

“Dann eben, wer dahinter steckt.“

“Auch das weiß ich nicht.“
 
“Sie sind heute wieder richtig gesprächig,“ grinste Buffy und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie tief in sich so etwas wie Angst empfand.


“Sagtest du.. Fallen?“, ignorierte Giles Buffys Kommentar, als ihm jetzt erst der wichtigere Teil von Buffys Geplapper auffiel.

 

„Oh ja. Sagen Sie nur, Sie waren hier sicher?“ Giles nickte. „Na dann machen Sie sich auf etwas gefasst.“

+++


Xanders und Andrews Wohnung
selber Tag, später Nachmittag

"Ich bin froh, dass ihr euch wieder versöhnt habt," Xander griff nach der Fernbedienung, und stellte den Ton ab, da die Werbung begonnen hatte. "Ich glaube, diese Freundschaft tut euch beiden sehr gut." Er hatte mit Absicht das Wort Freundschaft verwendet, damit Andrew nicht sofort widersprach.

"Ich bin auch froh," versicherte Andrew, "aber es ist wirklich nicht so, wie du denkst. Dawn und ich sind nur Freunde. Es ist nicht, wie im Kino!"

"Ich hab' nichts gesagt!" Grinsend hob Xander die Hände.

"Aber gedacht," grinste Andrew zurück.

"Gehofft," verbesserte Xander ehrlich, und überlegte, wie er es Andrew erklären konnte. Verdammt, warum hatte die Sache mit dem Ball so danebengehen müssen? Es hätte Andrew so gut getan, wenn es mit ihm, und Dawn geklappt hätte. Und Dawn genauso, denn unter seiner durchgeknallten Oberfläche war Andrew durchaus ein sensibler und einfühlsamer Mensch, der einen anderen Menschen glücklich machen konnte. Es steckte sehr viel mehr in ihm, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Nur, warum war es so schwierig, das herauszuholen? Es hatte so lange gebraucht, bis Andrew Verantwortung für seine Taten übernahm, es hatte so lange gedauert, bis er damit angefangen hatte, sich in der Realität zurechtzufinden. Und nun, da es endlich soweit war, da er endlich ein Stück erwachsener geworden war, blieb er plötzlich stehen, wie ein störrischer kleiner Esel und weigerte sich den nächsten Schritt zu gehen. Gut, es war nicht allein Andrew's Schuld, dass Dawn sich gegen ihn entschieden hatte, da steckte schon auch ein anderer Junge dahinter. Das sagte ihm sein Gefühl, auch wenn Dawn ihm nichts erzählt hatte.

Trotzdem hätte Andrew sich mehr Mühe geben können. Selbst wenn es nicht funktioniert hatte, so hätte er sich wenigstens sicher sein können, alles Menschenmögliche getan zu haben. Und aus Fehlern lernte man für das nächste Mal.

Aber, so wie es aussah, hatte Andrew gar kein Interesse an einem nächsten Mal. Der Junge wusste überhaupt nicht, was er mit seiner Zukunft anfangen sollte. Eine Zukunft, die Anya mit ihrem Leben.....nein!

 

Es war nicht seine Schuld. Er konnte nichts dafür. Anya hatte ihre Entscheidung selbst getroffen.

 

Xander atmete tief durch, und versuchte, seine Gedanken wieder unter Kontrolle zu bringen. Andrew schien irgend etwas gemerkt zu haben, denn er sah Xander erschrocken und verwirrt an:" Was ist los? Was hab ich gemacht?"

'Gar nichts hast du gemacht', dachte Xander, 'und genau das ist ja das Schlimme. Sie ist tot, damit du dieses Leben haben kannst, und du bist dir dessen nicht einmal bewusst. Sonst würdest du es endlich nutzen, anstatt es so sinnlos verstreichen zu lassen.'

Er rang sich ein Lächeln ab, um Andrew zu beruhigen, und setzte zu einem Erklärungsversuch an: "Erinnerst du dich noch an das, was ich dir über meine Schulzeit erzählt habe?" Als Andrew nickte, fuhr er fort: "Ich war auch ein Science Fiction und Fantasy Freak, und meine Comics und Filme gingen mir über alles. Aber als ich mit Cordelia zusammen war, hat sich etwas Grundlegendes geändert - ich hab einfach mehr in der Wirklichkeit gelebt. Das hieß jetzt nicht, dass ich plötzlich kein Star Trek Fan mehr war, es hatte nur nicht mehr einen so hohen Stellenwert in meinem Leben..."

Andrew guckte ihn verständnislos an, und Xander wurde klar, dass er hier nicht weiterkam. "Du wirst es verstehen, wenn du deine erste Freundin hast," seufzte er. "Alle Jungs lieben ihre Spielzeuge, aber wenn sie erst einmal entdeckt haben, dass es auch Mädchen gibt, ändert sich ihr Leben von Grund auf, und nichts ist mehr, wie es war."

"Aber ich kenne viele Mädchen," protestierte Andrew. "Und ich bin kein kleiner Junge mehr, der behauptet, sie wären alle doof. Mädchen können alles, was Jungs auch können, und manches sogar noch besser. Das hab' ich immer gewusst! Lara Croft ist cool, und Trinity ist noch viel cooler. Und Tinúvíel hat Beren vor Morgoth gerettet, und She-Ra hat mehr Superkräfte, als He-Man, und okay... Janeway mag ich nicht besonders, aber das hat wirklich nichts damit zu tun, dass sie eine Frau..."

"Du begreifst es einfach nicht!" Fassungslos schüttelte Xander den Kopf. "Kannst du denn nicht einmal, ein einziges Mal nur, deine dämlichen Filme beiseite lassen, und in der Wirklichkeit leben? Ich rede von realen Mädchen, realen Frauen. Was fühlst du, wenn du Dawn nahe bist? Sie hat dich eine ganze Nacht im Arm gehalten, du musst doch irgendwas dabei empfunden haben?"

"Aber ich lebe in der Wirklichkeit!" schrie Andrew zurück, und seine Stimme überschlug sich beinahe. "Ich helf' mit beim Dämonenjagen, und ich mach meinen Job im Pizza Hut, und ich bin nicht rausgeflogen, und du kriegst Miete von mir, auch wenn es weniger ist, als das, was du bezahlst, aber du hast gesagt, dass es okay ist, weil du mehr verdienst, als ich, und weil ich dafür mehr im Haushalt machen soll, und das mach ich auch, ich räum auf, und ich bring den Müll runter, und manchmal koch' ich auch, und du hast vorgestern gesagt, das klappt schon ganz gut, auch wenn ich manchmal die Gewürze durcheinanderbringe, und die Töpfe anbrenne, aber ich schrubb' sie wieder sauber, und ich hab sogar kapiert, wie..."

"Andrew! Andrew, hör mir zu!" Xander legte seine Hände auf Andrew's Schultern, und schüttelte ihn leicht, um sich durch den nicht-enden-wollenden Redeschwall Gehör zu verschaffen. Andrew's Stimme klang gefährlich nahe am Schluchzen, und in seinen Augen formten sich erste Tränen. "Andrew, es ist gut, du machst nichts falsch, hörst du? Es ist gut, es ist in Ordnung!" Er wuschelte Andrew durch die Haare, wie einem kleinen Jungen, und dieser schlang plötzlich die Arme um Xander's Hals, und schniefte in seinen Pullover. Xander fühlte sich hoffnungslos überrumpelt, aber er ließ es mit sich geschehen. Andrew würde wohl noch seine Zeit brauchen, um erwachsen zu werden.

"Es ist wirklich alles in Ordnung?" fragte Andrew leise, und rieb seine Wange an Xander's Schulter. "Weil, in letzter Zeit, glaub ich manchmal, du wärst auf mich sauer, aber du sagst nichts, und ich weiß nicht, was ich gemacht hab..."

Xander zuckte zusammen. Also hatte Andrew es doch bemerkt. Dabei gab er sich solche Mühe, mit diesen Gedanken allein fertig zu werden. Was hätte er dem Jungen auch sagen sollen? Nein, es ist nicht alles in Ordnung, weil du lebst, und sie tot ist, und es eigentlich umgekehrt sein sollte? Weil ich an das Leben denke, das ich mit ihr hätte führen wollen, und das wir nun niemals führen werden? Weil dir ein Leben geschenkt wurde, und du nichts damit anzufangen weißt?

"Natürlich ist alles in Ordnung," versuchte er Andrew zu beruhigen. "Du gibst dir wirklich große Mühe mit allem, und ich erkenne das nur zu wenig an, das ist alles."

Andrew nickte zufrieden, und murmelte etwas vor sich hin, aber das ging in Xander's Pullover unter. Xander war froh, dass er ihm nicht in die Augen sehen musste, er schämte sich, weil er Andrew belogen hatte, und er schämte sich noch sehr viel mehr, weil diese Lüge überhaupt nötig gewesen war. Warum konnte sein Herz nicht einfach einsehen, was sein Verstand schon längst wusste? Dass die Entscheidungen, die das Schicksal traf, nicht immer fair waren, und dass es sinnlos war, damit zu hadern? Die Überlebenden trugen keine Schuld daran, dass sie überlebt hatten, Andrew nicht, und die anderen nicht, und er selbst auch nicht....

Wenn Andrew doch wenigstens verstehen würde, wie kostbar dieses Leben war, und dass man jeden Augenblick davon nutzen musste. Schon so viele Male war er dem Tod nur knapp entronnen, so etwas sollte einen Menschen doch wirklich zum Nachdenken bringen. Aber nein, er musste ja...

Schrill und unangenehm durchbrach das Klingeln des Telephons seine Gedanken. Sofort löste Andrew seine Umarmung, und stürmte in den Flur hinaus, als erwarte er, Xander wurde wieder versuchen, ihn zu überholen, und den Apparat als erster zu erreichen.

Nur einen Augenblick später tauchte er wieder in der Tür auf, und wedelte mit panischem Gesicht zu Fernseher, und Videorecorder hin, bevor er entgültig im Flur verschwand, um das Gespräch anzunehmen. Seufzend schob Xander eine frische Kassette in das Gerät, und drückte den Aufnahmeknopf.

+++

 

Labyrinth
“Moment Giles...“ Sie blieben stehen. Der Raum war spärlich beleuchtet, aber vor den beiden lag, gut erkennbar, ein Steinflur, der in einen anderen Raum zu führen schien. „Hier war ich noch nicht. Aber er wirkt... hell. In den meisten helleren Räumen ist nichts passiert. Zwei, dreimal war es ganz schön knapp. Wer immer sich dieses Labyrinth des Todes ausgedacht hat ist krank.“ Buffy war ein, zwei Schritte weitergegangen, doch Giles blieb stehen, wo er war. „Was ist.. kommen Sie schon.“

Giles schüttelte den Kopf und zeigte nach unten auf seine Füße. Buffys Blick folgte seinem Finger. Er stand auf etwas, das eindeutig unter seinem Tritt nach gegeben hatte.

“Ein Mechanismus,“ raunte Giles, als befürchtete er, dass seine Stimme alleine die Falle auslösen könnte. „Wenn ich mich bewege, löse ich irgendetwas aus.“

“Jede Wette,“ seufzte Buffy frustriert. So langsam ging ihr das Ganze gehörig auf den Wecker. Sie war müde und erschöpft. Sie hatte kein Gefühl mehr für Zeit und vielleicht vermisste man sie noch nicht einmal. Also war auch keine Rettung in Sicht. „Wie wäre es mit...Rennen Sie,“ schlug Buffy vor.

 

„Wir wissen nicht, was es ist,“ der Wächter ließ seinen Blick umher schweifen und auch Buffy suchte die Mauer vor sich mit den Augen ab. Doch von ihrer Position aus, sah Buffy nichts, was ihren Verdacht erregt hätte. Allerdings fiel Giles suchender Blick auf einen Spalt in der Wand neben sich, nur wenige Zentimeter hinter Buffys Position.

 

Buffy wurde plötzlich zur Seite gestoßen, als Giles sich auf sie warf und seinen Fuß von dem Mechanismus nahm. Ein Schwingblatt fuhr aus der gegenüberliegenden Wand, streifte Giles Oberarm, bevor er neben Buffy auf den Boden prallte und in der Wand hinter ihnen verschwand.


Entsetzt aber auch erleichtert blickten sich die beiden an.

+++


Cleveland, Ratsgebäude
etwas später…

“Und Sie haben wirklich nicht die geringste Ahnung?“ fragte Willow nervös, aber auch leicht gereizt, die Wächterin. „Ich meine, Sie haben Giles als letztes gesehen.“
 

„Nein, wenn ich es doch sage? Ich habe Rupert das letzte Mal gesehen... wartet.. uhm.. so gegen halb elf? Er sagte ‚Gute Nacht’ und ging in sein Zimmer. Gegen halb zwölf oder Zwölf hörte ich dann Lärm. Aber nachdem ich ein paar Minuten lang lauschte, wiederholte sich das Geräusch nicht mehr. Also machte ich mir keine weiteren Gedanken.“

 

Lily warf Willow einen irritierten Blick zu, als sie sich langsam Willows Ton bewusst wurde. „Stehe ich jetzt etwa unter Verdacht?“

 

Willow ließ die Frage unbeantwortet. Im Moment wussten sie alle so gut wie nichts, und Willow wollte auch nicht voreilig irgend etwas behaupten. Aber ihr Schweigen wurde von Lily als stumme Zustimmung aufgefasst. Frustriert ließ sich die Engländerin in ihren Stuhl am Konferenztisch sinken. Was um alles in der Welt hätte sie davon, wenn Rupert verschwand? Zu diesem heiklen Zeitpunkt?

 

„So kommen wir nicht weiter,“ gab Kennedy zu bedenken. „Vielleicht ist es ja nur ein Zufall, dass die beiden zusammen verschwunden sind.“

 

„Möglich...,“ gab Willow zögernd zu. „Aber in den ganzen Jahren haben wir gelernt, dass eben nicht immer alles aus Zufall passiert,“ seufzte sie und blickte sich hilflos um. Wo blieb nur Xander?

 

„Könntest du nicht versuchen, Giles und Buffy mit einem Ortungszauber zu finden?“, schlug Dawn mit ein wenig Hoffnung vor.

 

„Das könnte ich sicher. Ich habe auch vorhin schon daran gedacht.“ Sie klopfte auf ihre Tasche, die vor ihr auf dem Tisch lag. „Und habe die notwendigen Zutaten eingepackt. Ich wollte nur alle Möglichkeiten ausschöpfen.“

 

Dawn wollte gerade erleichtert Willow für ihre Umsicht danken, als die Tür zum Flur aufging. Xander, gefolgt von Andrew, traten in den Raum. Andrew trug noch seine Uniform vom Pizzaservice und wirkte müde, während Xander einige Pizzaschachteln auf seinen Händen in den Raum jonglierte und sie in die Mitte des Tisches absetzte. Willow hatte die beiden zwar zu Hause telefonisch erreicht, aber beide hatten noch Dinge zu erledigen gehabt und stießen erst jetzt zu ihnen.

 

„Okay Leute, unser G-man und unsere Lieblingsjägerin sind also verschwunden? Dann wird das eine lange Nacht. Darum.. Pizza für alle, Dank sei Andrew,“ fasste Xander die Situation rasch zusammen und grinste über seine alte Rolle, als Pizzalieferant und Donutkäufer. Keiner bemerkte Kennedys gekränkten Gesichtsausdruck, als Xander das Wort Lieblingsjägerin verwendet hatte.

 

„Wie ist der Stand?“, fragte Andrew mit einem unterdrückten Gähnen und setzte sich neben Dawn.

 

„Willow will es mit einem Zauber versuchen,“ erklärte sie gespannt..

 

„Oh...,“ Andrew war auf einmal wieder hellwach, hin- und hergerissen zwischen seiner Faszination für Magie und den - alles andere als glücklichen -Erinnerungen, an Willow’s Zauber.

 

„Du stinkst nach Olivenöl und Fett,“ holte ihn Dawns Kommentar aus seinen Gedanken. Er grinste verlegen.

 

„Xander sagte es sei ein Notfall.. keine Zeit für Superman, um zu duschen.“

 

Willow war bereits aufgestanden und entnahm ihrer Tasche Kerzen, Räucherstäbchen, eine Stadtkarte, einige Plastikbeutelchen und eine Schale mit Mörser.

 

„Hey, habt ihr’s schon mitbekommen.. das Monster hat letzte Nacht nicht wieder zugeschlagen. Jedenfalls gab’s weder im Radio, noch in der Glotze was darüber zu hören... Ist doch komisch oder?“, erwähnte Xander, während er sich über die erste Pizza hermachte.

 

„Allerdings,“ murmelte Lily. „Ich hoffe inständig, dass dies alles nichts mit den beiden zu tun hat.“

 

„Wenn es etwas Magisches ist, kann ich das zusätzlich herausfinden,“ erklärte Willow, die auf dem Boden ihre Zauberzutaten anordnete und sich dann niedersetzte. „Wenn nicht, müssen wir weiter einkreisen.“

 

„Würden uns Bücher weiterhelfen?“, wollte Xander wissen.
 

„Unser Bestand ist hier recht klein, aber Rupert hat sicher Standardliteratur da. Irgendwo wird sich etwas über plötzliches Verschwinden finden lassen,“ Lily stand auf und winkte Xander, damit er ihr folgte.


„Wir nehmen uns den Laptop vor,“ wandte sich Dawn an Andrew. „Die Suchmaschinen sollen uns die Arbeit abnehmen,“ sie zog den Laptop heran und öffnete den Browser.

„Tja, da bleibt mir wohl nur die Rolle als Zuschauerin,“ bemerkte Kennedy leicht gekränkt.

 

„Schatz.. du könntest in der Gegend patrouillieren.. oder such deine Informanten auf. Vielleicht wissen die etwas?“, schlug Willow produktiv vor.

 

„Hey.. gute Idee. Ich verschwinde mal kurz ins Black Pearl!“ Kennedy stand auf und warf Willow eine Kusshand zu. „Du bist die Beste,“ flüsterte sie, dankbar darüber eine Aufgabe bekommen zu haben und sehr froh darüber, dass seit ihrem kleinen Streit alles wieder in Ordnung zu sein schien.

 

+++

 

Im Labyrinth
Müde, erschöpft und verletzt erreichten Buffy und Giles einen neuen Raum. Buffys Kratzer auf der Stirn hatte Gesellschaft bekommen – ein weiterer tiefer Schnitt zierte ihre Wange und ihr Shirt war am Bauch zerschlitzt. Giles’ Hemdsärmel war blutgetränkt, der andere Ärmel fehlte ganz und diente als Abbinde für den verletzten Arm. Buffy hatte versucht die Blutung zu stoppen und es war ihr tatsächlich gelungen.

 

Zu allem Übel begann ihnen das Labyrinth langsam zu zusetzen und ihre Kräfte schienen zu schwinden. Giles hatte die leicht gereizte Stimmung zwischen ihnen mit Besorgnis wahrgenommen. Sie waren schon zu lange hier gewesen, und es wurde Zeit, dass sie den Ausgang oder zumindest das Geheimnis hinter dem Rätsel lüfteten, bevor Dunkelheit, Durst, Hunger und Müdigkeit in Panik umschlugen.

An der Schwelle zum Raum blieben sie stehen und ließen ihre Blicke suchend nach Fallen und Auslösern herum schweifen.

 

Keiner von beiden bemerkte den großen, unförmigen Schatten der hinter ihnen über die Wände glitt.

“Ich glaube, wir laufen im Kreis,“ murmelte Giles resigniert und deutete auf eine zerstörte Falle – ein Häufchen Holz und Klingen, die Buffy vor nicht all zu langer Zeit erfolgreich ausgeschaltet hatte.

“Das ist ja schlimmer als gegen ein Heer Übervampire zu kämpfen,“ seufzte Buffy niedergeschlagen und sank an die Wand gelehnt auf den Boden. „Und ich glaube, ich kann nicht mehr. Ich habe Durst, ich bin müde...“


“Da sind wir schon zu zweit,“ versuchte Giles aufmunternd zu lächeln und sank neben Buffy auf den Boden. Sie wandte ihren Kopf und musterte ihn.

 

„Na ja, für Ihren Durst, scheinen Sie ja in den letzten Tagen schon ausreichend gesorgt zu haben,“ sie hatte einen Scherz machen wollen, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Worte ein wenig kalt klangen.

 

Giles sah sie überrascht an und für einen Moment herrschte eine merkwürdige, eisige Atmosphäre zwischen ihnen, die so deutlich ausdrückte, was alles zwischen ihnen stand. Schließlich räusperte sich Giles unsicher und gab beiden damit die Gelegenheit betreten zur Seite zu blicken. Das Schweigen wurde unerträglich. Schließlich war es Buffy, die mutig den nächsten Schritt wagte. „Tut mir leid. Ich habe es nicht so gemeint.“

 

„Doch hast du,“ widersprach ihr Giles sofort und schüttelte den Kopf. „Ich kann verstehen, wenn mein Verhalten euch alle irritiert hat. Aber ich hatte meine Gründe.“

 

„Oh und die können Sie mir natürlich nicht verraten? Ihr Gründe?“, sie sah zu Giles, der erneut den Kopf schüttelte. „Das dachte ich mir. Ist doch immer dasselbe.“

 

„Bitte?“, Giles sah irritiert zu seiner ehemaligen Jägerin.

 

„Sie haben schon verstanden. Sie haben immer irgendwelche Gründe gehabt, um Dinge zu tun. Aber Sie haben sie mir nie genannt oder richtig erklärt. Wieso Sie z.B. auf einmal Sunnydale verlassen mussten, um nach England zurückzukehren, wieso Sie auf einmal beschlossen haben wieder in mein Leben zu treten, um hier in Cleveland den großartigen, großzügigen Wächter zu spielen ...“

 

„Aber so ist das doch nicht,“ begann Giles entsetzt und stoppte im Satz, als ihm bewusst wurde, dass Buffy nichts verstanden hatte.


„Wieso sind Sie noch hier? Hier in Cleveland, wo doch in London so großartige Aufgaben auf Sie warten – der Aufbau, das Lenken und Manipulieren von willigeren Jägerinnen, als ich je eine war.“

 

„Wir lenken, aber wir manipulieren nicht,“ wagte Giles zu widersprechen. Er klang, als würde er vorab vor all den noch nicht ausgesprochenen Dingen von Buffy resignieren.

 

„Ach nein, was dann?“, herrschte Buffy ihn aufgebracht an.

 

„Wir beschützen euch,“ Giles versuchte ruhig zu bleiben, aber Buffys plötzlicher Angriff war unerwartet gekommen und tat weh.

 

Buffy musste bitter lachen. „Beschützen? Uns? Ihr Wächter, einer auf zehn Jägerinnen? Vor was beschützen? Sie konnten mich nie beschützen, weder vor dieser unsinnigen Prüfung des Rates, für die ich noch nicht einmal eine offizielle Entschuldigung von Ihnen bekommen habe, noch davor, dass ich mehr als einmal die Zielscheibe für irgend einen größenwahnsinnigen Dämon gespielt habe, noch vor Gegnern wie Glory oder dem Urbösen. Im Grunde sind wir Jägerinnen immer alleine auf uns gestellt. Nicht einmal vor meinen Fehlern haben Sie mich bewahren können.“

 

„Wenn du jemals richtig zugehört oder das eine oder andere auf meine Art gelöst hättest, stünden wir jetzt nicht hier.“ Und damit meinte er ganz sicher nicht das Labyrinth.

 

„Ihr Weg? Ach ja, ich erinnere mich an die Alternative, Dawn zu töten,“ Buffy wurde zynisch.

 

„Dafür warst du bereit, uns alle zu töten,“ setzte ihr Giles entgegen. Doch die Wirkung blieb aus. Buffys Blick blieb hart. Und er verstand immer weniger, wieso sie auf einmal von solchen Dingen sprach. Oder er verstand es doch, und wollte nur nicht näher darüber nachdenken. Letztendlich gab er dem verdammten Labyrinth die Schuld.

 

„So oder so hätten Sie mich nicht vor Glory beschützen können.“

 

„Doch das habe ich,“ Giles sah auf den Boden, als er die Worte leise aber bestimmt aussprach. Er war innerlich noch nicht bereit für das Geständnis, aber vielleicht gab es nie den richtigen Zeitpunkt dafür, auf den er wartete. „Wieso denkst du, haben wir nie wieder etwas von ihr gehört?“

 

„Weil Ben..,“ ja was war er? Sie hatte sich mit Glory geprügelt, bis sie von Ben verdrängt wurde. Einen unschuldigen Menschen zu töten, war ihr nie in den Sinn gekommen, auch wenn er das Böse in sich trug. Glory hätte nur besiegt werden können, wenn sie ihn getötet hätte.. Wenn er.. ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie das Puzzle zusammenfügte. Sie sah Giles an. „Sie...,“ brachte sie heiser hervor und Giles sah erneut zu Boden.

 

„Ich hatte keine andere Wahl,“ flüsterte er.

 

Beide schwiegen. Buffy war über die Offenbarung zu geschockt und Giles hing seinen Gedanken nach, wusste nicht, ob es richtig oder falsch gewesen war, Buffy nach so langer Zeit davon zu erzählen.
 

Dabei gab es noch so vieles, das zwischen ihnen stand und ausgesprochen werden musste, aber keiner schien bereit dafür zu sein, niemand von ihnen wollte manches davon als Fehler zugeben oder sich für Fehler entschuldigen. Und Giles Geständnis machte es da keinem von beiden leichter.

 

Buffy stand plötzlich auf und schüttelte benommen den Kopf. „Sie hätten mir das früher erzählen sollen.“

 

„Wieso hätte ich dir das antun sollen?“, Giles sah zu ihr auf. „Ich hielt es für das Beste, es dir zu verheimlichen. Ich habe es nie jemandem erzählt. Bis jetzt. Es ist sicher nichts, auf das ich stolz wäre. Aber es war notwendig. Ich habe dir die Entscheidung abgenommen, ich habe Glory für dich...“

 

„Hören Sie auf. Ich ertrage es nicht, wenn Sie einen Mord an einem unschuldigen Menschen damit rechtfertigen wollen, dass es wegen mir geschehen ist.“ Buffy war lauter geworden und Giles zuckte unter ihren Worten zusammen.


“Das möchte ich gar nicht, Buffy. Ich möchte nur, dass du verstehst, wieso ich manche Dinge, getan habe. Aber wenn du dich dagegen wehrst, sie mit meinen Augen zu sehen, wird mein Versuch es dir zu erklären, fehlschlagen.“

 

„Oh, wenn das alles ist, was Sie von mir verlangen, kann ich das natürlich versuchen,“ sie schloss ihre Augen für einen Augenblick, schüttelte dann den Kopf und sah grimmig zu Giles zurück.  „Nein.. es funktioniert nicht... denn es fällt mir schwer, so wie Sie zu sehen, wieso Ben sterben musste, wieso Sie lieber Dawn geopfert hätten, wieso Sie unbedingt Spike töten wollten. Waren Sie eifersüchtig, weil ich mehr auf seinen Rat hörte, als auf Ihren? War es das? Kam deshalb Woods Vorschlag für Sie gelegen? Oder war das auch wieder so eine Sache, die Sie mir zu liebe getan haben?“

 

Giles seufzte und stemmte sich ebenfalls in die Höhe. Er sah Buffy direkt in die Augen und versuchte, zu ergründen, wieso Buffy so verzweifelt versuchte, ihm weh zu tun. Sie hatten gemeinsam so vieles erlebt und durchgestanden, dass es ihm einfach nicht in den Sinn wollte, warum Buffy ihn auf einmal so von sich wegstieß. Als die junge Frau ihren Blick nach dem stummen Duell senkte, wusste er, dass viel mehr dahinter steckte und Buffy ahnte, dass Giles sie ein Stückweit durchschaut hatte.

 

Einen Versuch, sie danach zu fragen, hielt er für den Augenblick für falsch. Sie würde leugnen oder noch bösere Dinge sagen. Allerdings half ihm die Erkenntnis nicht darüber hinweg, dass ihre Worte schmerzhaft gewesen waren.

 

Plötzlich schob sich der große, unförmige Schatten hinter Giles in die Höhe und glitt über die Wand. Buffys Augen weiteten sich. Durch das Ereignis von ihrem Streit abgelenkt, zeigte sie stumm über die Schulter von Giles. Der Wächter fuhr herum und sah gerade noch, wie der Schatten um eine Ecke kroch und verschwand. Ein Schauder lief ihm über den Rücken.

 

Stumm nickte er zum Ausgang des Raumes und ohne weitere Worte zu verlieren, hatten sie es eilig weiterzugehen. Beiden wurden zwei Dinge bewusst.. erstens - sie würden alles in Ruhe noch einmal besprechen müssen, egal wie schmerzhaft es sein würde und zweitens – etwas verfolgte sie.

 

+++

 

Cleveland, Ratsgebäude
selbe Zeit
Willow hatte inzwischen alles für ihren Zauber vorbereitet und es herrschte die übliche, konzentrierte Ruhe im Raum, die sie dafür brauchte. Es störte sie schon lange nicht mehr, dass ihre Freunde außen herum standen und sie anstarrten. Fasziniert oder auch mit Furcht. Sie nutzte schließlich ihre Magie für einen guten Zweck. Der bittere Nachgeschmack, der früher einmal blieb, wenn sie an Magie nur dachte, gehörte der Vergangenheit an. Seit sie ihre Furcht vor ihrer Macht verloren hatte, um gegen das Urböse anzutreten, schreckte sie nicht mehr zurück, Zauberei wieder für ihren Kampf gegen das Böse einzusetzen.

Willow streute ein Pulver über die Stadtkarte und murmelte lateinische Worte. Sofort glühten zwei Punkte rot auf, erloschen wieder, glühten an einer anderen Stelle auf, erloschen wieder. Das Spiel wiederholte sich unendlich und Willow spürte etwas, eine andere magische Ebene, die versuchte ihren Zauber zu unterbrechen. Ihr gefiel die negative Schwingung nicht und mit einer raschen Handbewegung unterbrach sie den Zauber. „Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube das bedeutet, dass die beiden nicht mehr direkt in Cleveland sind und das jemand seine Finger mit im Spiel hat.“

 

„Magie?“, fragte Lily besorgt und Willow nickte kräftig.

 

„Ja, und keine gute. Ich kann den Zauber ausdehnen und versuchen die Quelle zu finden. Irgendein Schutzzauber macht es mir unmöglich den Ort von Buffy und Giles aufzuspüren.“

 

„Tu das,“ riet Lily und Willow griff nach einem weiteren Schälchen mit einem Pulver darin, das sie über die Karte streute. Diesmal verwendete sie einen Zauberspruch auf griechisch und beendete den Vorgang mit einer Handbewegung in der Luft, die ein unsichtbares Zeichen malte. Eine Stelle auf der Landkarte glühte lila auf und das gesamte Gebiet darum flimmerte. „Dort sollten wir suchen,“ riet Willow und sah in die entschlossenen Gesichter ihrer Freunde.

 

++++

 

Labyrinth
Keiner der beiden wagte es die unangenehme, angespannte Stille zwischen ihnen zu unterbrechen, die sich seit dem Streit und dem Entdecken des Schatten ausgebreitet hatte.
Schweigend liefen sie nebeneinander her und suchten in den Räumen, Gängen und Fluren nach Fallen. Inzwischen hatten sie ein Gespür dafür entwickelt und wussten, wann sie Vorsicht walten lassen mussten.


Der nächsten Raum, den sie betraten, war dunkel und jederzeit konnte eine Falle mit tödlicher Präzision auf sie zurasen. Doch diesmal war etwas anders. Giles konnte es spüren.. dieses machtvolle Gefühl, die Kontrolle über eine Situation zu haben .. Magie. Der Raum knisterte vor magischer Energie. Buffy schien davon nichts zu bemerken und sie ging mutig über die Schwelle, darauf vorbereitet mit einer schnellen Rolle oder einem Hechtsprung einer Falle zu entgehen.

 

Nach wie vor, war sie als Fallenentschärfter unterwegs, damit Giles, der zwar trainiert war, aber noch lange nicht ihre Reflexe hatte, nicht doch noch am Ende von einem der Schwingblätter oder der Äxte geköpft wurde.

 

Doch diesmal griff Giles nach ihrem Arm und hielt sie zurück. Ärgerlich blickte sie auf seine Hand, die ihren Oberarm umschloss und ließ ihren Blick nach oben zu ihm wandern.

 

“Halt!“ mahnte Giles und zeigte nach vorne. Am anderen Ende des Raumes glomm ein grünlicher Schein auf, der auf sie zu hüpfte.

“Schon wieder eine Falle – ich seh’s,“ brummte Buffy wenig überrascht und schüttelte Giles’ Hand ab. „Ich gehe weiter und schaue, was sie vorhat!“

 

„Warte noch einen Moment. Sie kommt mir irgendwoher bekannt vor,“ Giles ging vorsichtig in den Raum, suchte nach den Auslösungsmechanismen, fand aber keine. Je weiter er in den Raum ging, desto mehr erkannte er - es war eine durchsichtige Kugel, die den Durchmesser einer Kristallkugel hatte, umgeben von einem grünen, flackernden Lichtschein. Recht harmlos.

 

Doch Giles wusste, dass sie in den nächsten Sekunden an Tempo zulegen würde. Er wusste nicht, woher sein Wissen kam, aber er war sich bewusst, dass die Kugel den Tod brachte. Wenn die Kugel einmal eine Spur aufgenommen hatte, würde sie nicht vorher aufgeben, bis sie ihr Ziel erreicht und eliminiert hatte.

 

„Wir brauchen etwas, womit wir zuschlagen können.. etwas Ähnliches wie einen Kricketschläger?“ Giles sah zurück zu Buffy.

 

„Kricket? Ich glaube, Baseballschläger wäre jetzt um Längen besser.“

 

„Ich denke kaum, dass wir jetzt Zeit haben, unsere kulturellen Unterschiede auszudiskutieren,“ er sah aus den Augenwinkeln, dass die Kugel die Hälfte des Raumes durchquert hatte und wenige Meter vor ihm stoppte.

 

„Oh, wir könnten es auch mit Quidditch versuchen?“ schlug Buffy scherzend vor und erntete einen sehr säuerlichen Blick. „Nur so eine Idee.“ Sie suchte bereits nach etwas, das sie als Schläger benutzen konnte. „Warten Sie...“, sie ging zurück in den Nachbarraum und blickte sich um.

 

Ihr Blick fiel auf die Fackelhalter. Auch wenn die Fackeln nicht entzündet waren, boten sie die gewünschte Funktion. Sie riss eine davon aus der Halterung und rannte zurück in den Raum. Dort konnte sie gerade noch sehen, wie Giles sich unter der rasend schnellen Kugel hinwegduckte. Offensichtlich hatte die Kugel so etwas wie ein magisches Auge, denn sie hielt inne, als Buffy hereinkam. Sie änderte die Richtung.

 

Buffy riss die Fackel in die Höhe und versuchte nach der Kugel zu schlagen. Der erste Versuch ging ins Leere, aber sie brachte damit die Kugel wenigstens aus ihrer Flugbahn.

 

„Ich hätte auf Mom hören sollen und der Damenmannschaft des Softballteams beitreten sollen, statt mit dem Cheerleading anzufangen,“ seufzte Buffy und konzentrierte sich auf die ins Torkeln geratene Kugel. So schwer konnte es doch gar nicht sein, sie mit dem breiten Holzschläger zu treffen.

Die Kugel stieg in die Höhe und fiel auf den Boden. Steinbröckchen spritzten auf und als die Kugel sich wieder in die Höhe schraubte, hinterließ sie ein tiefes Loch im Boden, aus dem Rauch aufstieg.

 

Buffy schluckte. „Das ist wirklich wie  Quidditch. Uhm.... Giles, bleiben Sie unten,“ rief sie und suchte mit ihren Augen nach der Kugel. Das Mordinstrument hatte sie bereits wieder anfixiert. Mit festem Griff um die Fackel konzentrierte sich die Jägerin auf die Kugel. Einen Moment lang schien nichts zu geschehen, doch dann raste das Geschoss auf sie zu. Buffy schlug zu, hörte den Aufprall, fühlte die Fackel aus ihrer Hand gerissen, sah aber auch dass die Kugel in tausend Teile zersplitterte. Der grünliche Schimmer erlosch und der Raum lag wieder düster vor ihnen.

 

„Was zur Hölle war das?“ Keuchte Buffy und starrte auf ihr geprelltes Handgelenk.

 

„Ethan,“ flüsterte Giles.

 

„Ich wollte nicht wissen wer, sondern was... ETHAN Rayne?“ Entsetzt sah Buffy zu Giles, der auf die Beine kam und sich den Staub von der Hose klopfte. Angesichts seines desolaten Zustands fand es Buffy witzig genug, um darüber zu lächeln.

 

Giles sah sie ernst an, gefolgt von einem besorgten Nicken. „Diese Kugel... er hat sie zweimal eingesetzt, als ich dabei war. Einmal, um zu demonstrieren, wie viel er drauf hatte und einmal, um.. nun wir waren.. uhm... legen wir den Mantel des Schweigens darüber.“ Er musste Buffy jetzt nicht in aller Einzelheit erklären, was für Dummheiten man machen konnte, wenn man unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen stand und sich nachts über einen Friedhof schlich.

 

Buffy nickte verständnisvoll. „Ich kann es mir denken.. Oder nein.. ich versuche es mir erst gar nicht vorzustellen...“

 

Giles schüttelte betrübt den Kopf. „Ethan, also. Und ich dachte er wäre für alle Zeiten in sicherem Gewahrsam.“

 

„Die Initiative besteht nicht mehr,“ erinnerte Buffy ihren ehemaligen Wächter und stieß mit ihrer Fußspitze die Scherben an. An ihnen war nichts mehr Magisches. „Ihre Gefängnisse bestimmt auch nicht mehr.“

 

„Und wieso wartet er dann so lange auf Rache?“, Giles rieb sich die Schläfe.

 

„Hm.. Rache?“, Buffy sah ihn skeptisch an. „Sie denken, es geht ihm um Rache?“

 

Giles nickte. „Gehen wir davon aus, dass seine Freiheitsberaubung keine schöne Folgen mit sich brachte, dann halte ich es für durchaus möglich.“

 

„Denken Sie... er möchte uns damit nur quälen oder möchte er uns.. nun.. tot sehen?“

 

„Ich weiß es nicht.. seine Scherze waren bislang übel, aber immer mit der Option auf einen Ausweg.“

 

„Ich hätte Sie damals als Dämon fast getötet, wo war da Ihre Option?“

 

„Du hast mich erkannt.“

 

„Ja gerade noch rechtzeitig. Von Scherzen würde ich nicht sprechen“.

 

Giles hörte Buffy auf einmal nur noch halbkonzentriert zu, denn sein Blick war auf den Schatten hinter Buffy gefallen, der groß und unförmig über die Wände glitt. Er schluckte und wischte sich über die Stirn.

 

„Was ist?“ Buffy fuhr herum, als würde sie Ethan erwarten, dem sie so einiges zu sagen hatte, aber alles was sie sah, war ein leerer Raum und der sich bewegende Schatten.

 

„Der Schatten...“

 

„Er folgt uns schon eine ganze Weile.“, stimmte Buffy den unausgesprochenen Worten von Giles zu.

 

„Dieser Schatten,“ schluckte Giles hart. „Er gehört dem Wesen, das in Cleveland wütet,“ gestand Giles und zauberte einen ehrlich überraschten Ausdruck auf Buffys Gesicht. „Ich frage mich nur, ob Ethan auch etwas damit zu tun hat.“

 

„Sie wussten die ganze Zeit, was in Cleveland umgeht und haben uns nichts davon gesagt?“, Buffy erholte sich von ihrer Überraschung und bückt sich nach der Fackel. Vielleicht war sie als Waffe noch zu gebrauchen.

 

„Ich war mir nicht sicher... aber jetzt, dieser Schatten gibt mir die Gewissheit.“

 

„Und was hat Ethan damit zu tun?“

 

Giles zuckte mit den Schultern. „Vielleicht weiß er, was ich mit dieser Kreatur verbinde.“

 

Nun war es mit Buffys Geduld zu Ende. „Giles verdammt noch mal.. reden Sie endlich. Ich meine Karltext....Klartext. Diese ständigen Andeutungen machen mich noch ganz krank.“

 

„Du hast ja recht,“ sagte Giles überrascht ruhig und resigniert. „Aber das ist nicht so einfach.“

 

„Dann versuchen Sie es einfach und fangen Sie von vorne an.“

 

+++

 

Cleveland, Motelzimmer
später Abend

Ethans Gesicht war unter der Anspannung und Konzentration wie versteinert. Die Muskeln seines Körpers waren verkrampft und als er die Augen öffnete, geschah es unbewusst und ohne sein Zutun. Fast mechanisch langte er nach einer Schüssel, in welcher sich rote Farbe und ein Pinsel befanden. Mit dem Pinsel in Farbe getaucht, malte er um den Kreis aus Teelichtern Symbole auf den Teppich. Insgesamt brauchte er acht Symbole, dann würde die Kreatur die Jägerin angreifen. Es würde sie in Einzelteile zerlegen, während Ripper dabei zusehen musste.

 

Oh ja... welch wunderbare Vorstellung. Hätte Ethan gekonnt, hätte er zufrieden gegrinst, doch der Zauber hielt ihn selbst im Bann...

  

+++

 

Cleveland, vor dem Motel, Straße
selbe Zeit

“Hier muss es sein,“ Willow deutete zur Frontscheibe hinaus auf die Motelanlage.

 

„Bist du dir sicher,“ fragte Xander nach und lenkte den Van an den Straßenrand.

 

„Nicht alle Frauen sind unfähig, eine Karte zu lesen,“ knurrte Dawn von der Rückbank, während Willow die Stadtkarte zusammenfaltete.

„Schon gut,“ gab Xander grinsend zurück und stellte den Motor ab. „Dann lasst uns zusehen, dass wir dort finden, was wir suchen.“

 

+++

 

Labyrinth

„Ich hatte dir doch einmal davon erzählt, dass ich, bevor ich Ethan und seine Freunde kennen lernte, in Oxford studierte.“ Buffy nickte. „Und dass ich dem Druck nicht stand hielt, alles abbrach, und floh,“

 

Giles Hände wanderten in die Hosentaschen. Er war nervös und wollte es verbergen. „Es gab noch einen anderen Grund. Dieses Monster tötete einen Menschen, der mir sehr viel bedeutete, den ich kurz vor der schrecklichen Tat, wieder gefunden hatte...“, er brach ab und atmete durch. Es war nicht leicht mit Buffy darüber zu reden. Nicht weil es Buffy war, nicht nur weil sie ihm erst vor Minuten Dinge an den Kopf geworfen hatte die weh taten, sondern weil sie selten über solche Dinge sprachen.

 

„Ich verstehe...,“ versuchte Buffy, es ihm ein wenig leichter zu machen. „Aber ich sehe noch immer nicht Ethan...“

 

„Ethan versteht es, Wesen zu beschwören. Dieses Monster war sicher nicht all zu schwer für ihn mit Magie zu fangen, hier her zu schicken und mich damit in Angst und Schrecken zu versetzen. Als Auftakt seines Racheplanes...Vielleicht ging er davon aus, dass ich befürchtete, dass wieder jemand aus meinem Umkreis getötet wird. Einfach, um mich leiden zu sehen.“

 

„Okay... das Monster ist also wegen Ethan hier, um Sie zu verängstigen. Scheint ihm ja ganz gut gelungen zu seine. Die letzten Tage über.“

 

„Tut mir leid. Ich hätte mit euch reden sollen. Wie damals. Mit Eyghon.. aber.. aber es ist nicht so einfach...“

 

Buffy hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. „Ich sagte doch vorhin, Sie behalten alles für sich. Keine Überraschung mehr für mich,“ missmutig starrte Buffy vor sich hin. „Darf ich wetten.. Sie werden mir nicht verraten, wen das Monster getötet hatte?“

 

„Meine Mutter,“ überraschte Giles Buffy mit der ungeschönten Wahrheit und betretenes Schweigen kam auf. „Sie hatte meinen Vater, kurz bevor er mir von meiner beruflichen Zukunft berichtete, verlassen, weil sie mit dem Wahnsinn nicht leben konnte. Oder, besser gesagt, mit der Wahrheit über Vampire, Dämonen und Hexen,“ sprach Giles schließlich leise weiter, als Buffy schwieg. „Wir liefen uns zufällig elf Jahre später über den Weg. Es gab so vieles, dass ich sie hatte fragen wollen,“ Giles räusperte sich, um den Schmerz, der in seiner Stimme lag, zu überspielen. „Und wir hatten so wenig Zeit. Ich lud sie ein, mit mir nach Hause zu fahren, es waren Semesterferien. Als sie hörte, dass nicht nur ich viele Fragen hatte, willigte sie ein.

 

Es war ihr niemand mehr böse. Die Jahre lassen einen Verlust, Wut und Zorn vergessen.“ Er sah bei den Worten zu Buffy und schloss in seine Worte auch Buffy ein und die Dinge, die sie ihm vorgeworfen hatte. Ob sie es verstand, konnte er nicht sagen. Mit vielen Pausen zwischen seinen Worten, fuhr Giles fort. Es fiel ihm schwer weiterzusprechen. „Sie kam eine Woche später an. Spät Abends. Ich wollte sie vom Bahnhof abholen, aber andere Dinge waren wichtiger. Bandproben,“ gab er mit einem verlegenen Lächeln zu.

 

Buffy wusste zwar inzwischen über seine bewegte Jugend Bescheid, aber da sie so selten über seine persönlichen Angelegenheiten sprachen, kam es ihm noch immer einem Geständnis gleich. „Ich verließ mich darauf, dass sie alt genug war, um sich ein Taxi zu nehmen. Sie wusste von den Gefahren in der Nacht und ich vertraute auf ihr Wissen.“ Giles lachte bitter auf. „Wer konnte schon ahnen, dass ein Höllenwesen, ein Mondhund, in unserer Gegend unterwegs war, auf der Suche nach ... nach Nahrung,“ brachte Giles mühsam hervor. Plötzlich lag Buffys Hand auf seinem unverletzten Arm. Die vertraute Berührung war nach all den Worten zwischen ihnen, auf eine Art seltsam, tat aber auch gut.

 

„Sie müssen nicht weitersprechen. Ich kann mir vorstellen, was passiert ist,“ sagte Buffy sanft und zog ihre Hand hastig zurück.

 

Giles schüttelte den Kopf. Jetzt wo er am Erzählen war, wollten die Worte heraus. „Es war grausam.. überall war ihr Blut und ihr Körper war...,“ Giles schloss die Augen und kämpfte gegen die Bilder an, die vor seinem inneren Auge entstanden. Buffy verstand nur zu gut. Sie hatte den übel zugerichteten Körper des Zigeuners noch nicht vergessen.  „Ich kniete neben ihr, ich weiß nicht wie lange, aber ich hörte ein Geräusch, irgendwann.

 

Als ich aufsah und mich danach umdrehte, sah ich denselben Schatten wie diesen hier. Er kam näher, aber etwas hielt ihn zurück. Heute weiß ich was es gewesen war. Mein Vater schaltete die Gartenleuchte an, als er nach draußen kam, um nachzusehen, was hinter dem Haus los war. Das Licht hatte das Wesen verscheucht und mich gerettet.“

 

„Sie geben sich die Schuld daran, nicht wahr?“, fragte Buffy vorsichtig und Giles nickte niedergeschlagen. „All die Jahre?“, fügte Buffy fassungslos hinzu.

 

„All die Jahre,“ bestätigte Giles. „Hätte ich sie nicht eingeladen oder hätte ich sie abgeholt...,“ er brach ab und seufzte.

 

„Schicksal, Giles. Dagegen sind wir machtlos. Schließlich konnten Sie nichts für diese Kreatur. Ihre Mutter war zur falschen Zeit am falschen Ort. Wie wahrscheinlich die ganzen Opfer in Cleveland auch. Erinnern Sie sich lieber an die kurze Zeit, die Sie mit ihr gehabt hatten, um einige Dinge zu regeln.“

 

Aus Buffys Mund klang das sogar irgendwie.. überzeugend, fand Giles und gab ihr im Stillen recht. Diese ganzen Schuldgefühle, die er über all die Jahre mit sich geschleppt hatte, hatten ihm vieles in seinem Leben verbaut. Bindungsängste waren die Folge gewesen und ein übertriebener Schutzinstinkt für seine Jägerin. Er wollte nicht noch einmal indirekt schuld am Tod eines Menschen sein, der ihm etwas bedeutete.

 

Doch dann war Jenny in sein Leben getreten. Der Alptraum hatte sich wiederholt. Eine erneute Version davon wollte er nicht noch einmal erleben.

 

„Gut, aber ich verstehe noch immer nicht, woher Ethan davon wusste? Und eh.. Lily, weiß sie davon?“

 

„Ethan hatte ich später in London einmal den Grund genannt, wieso ich aus Oxford weg bin. Das war dumm und naiv von mir gewesen. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich ihn noch nicht gut genug,“ gab Giles ungern zu. „Und Lily... das ist eine andere Geschichte.“

“Die Sie mir irgendwann noch erzählen werden,“ drohte ihm Buffy an. Sie war froh, dass sie einen Punkt im Gespräch erreicht hatten, um von den düsteren Erinnerungen weg zu kommen. „Was wir jetzt allerdings nicht wissen, ist, wieso das Wesen uns noch nicht angegriffen hat.“

 

„Wenn Ethan es wirklich kontrolliert, wird er es noch zurückhalten. Licht- und Schattenspiel hin oder her.“

 

„Dann werden wir das eben herausfinden müssen....“

 

+++

 

Motelzimmer

Ethan malte das letzte Symbol und griff nach einer Leine, die vor ihm lag und symbolisch für die Fesseln, die er dem Wesen aufgelegt hatte, stand. Er griff nach dem Ritualmesser und durchschnitt die Leine...

 

+++

 

Labyrinth

Giles und Buffy standen in einem neuen Raum. Zu ihren Füßen lag etwas, das vor nicht weniger als einer Sekunde noch eine Falle gewesen war. Der Raum war dunkel und Buffy bückte sich, um aus dem Häufchen Klingen eine kleine Axt herauszusuchen.


“Sie warten hier draußen im Licht. Für alle Fälle. Ich geh jetzt da rein und stelle mich der Kreatur. Es wird schon nicht so schlimm werden,“ beruhigte sie Giles, der mit besorgtem Gesichtsausdruck auf der Schwelle stehen blieb. Er hatte keine andere Wahl. Buffy musste kämpfen, wollten sie hier je lebend herauskommen.

 

Buffy ging in die Mitte des Raumes und drehte sich um ihre Achse. Es war still, so still wie die ganze Zeit über. Nichts verriet ihr, wo sich das Wesen aufhielt und da es kein Licht gab, sah sie auch seinen Schatten nicht.

 

„Okay.. Schluss mit Versteckspiel,“ rief sie in den Raum. „Ich erwarte dich hier.. wenn du Hunger hast, hol dir dein Fresschen.“

 

Etwas fauchte hinter ihr, tief und kehlig. Buffy wirbelte herum. Sie sah nicht viel, nur dass die Tür verdunkelt wurde, als sich etwas Großes und Massiges erhob. Ein kräftiger Schlag traf sie an der Schulter und mit einem „Autsch“ fiel sie zur Seite.

 

Dann war auf einmal Licht im Raum. Giles hatte eine Fackel aus dem Nebenraum zu ihr herein geworfen. Sie machte das Dunkel hell genug, damit die Jägerin etwas erkennen konnte, aber wiederum nicht so sehr, dass die Kreatur sich zurückgezogen hätte.

 

Allerdings hätte Buffy gerne auf die Details verzichtet. Das Geschöpf stand auf vier Beinen, war größer als Buffy im Stehen und erinnerte sie von der Statur her an einen Werwolf. Sie war kaum behaart, die Augen glühten rot, das Maul der Kreatur triefte vor eigenem Speichel, der auf den Boden tropfte und Buffy nahm einen verwesten Geruch wahr, der ihr in die Nase stach.

 

Mutig trat sie diesem, von Giles so poetisch als Mondhund bezeichnetem Höllenwesen gegen den gewaltigen Kopf. Ungerührt starrte das Wesen sie aus seinen Augen an, während sie nach hinten fiel. Ihr Knöchel war geprellt. Hier war also eine andere Taktik gefragt. Kaum stand Buffy wieder auf den Füssen, nahm das Monster Anlauf und sprang Buffy an. Sie konnte sich mit einer Seitwärtsrolle aus der Flugbahn des Wesens bringen und rollte sich über die Schulter ab, sah nach dem Mondhund und ließ ihre Axt schwingen.

 

„Du musst dir schon dein Essen verdienen,“ rief sie ihm zu, stemmte sich mit ihren Beinen fest gegen den Boden und erwartete erneut den Sprung, der sofort folgte. Sie duckte sich und ließ das Monster über sich hinwegfliegen. Dabei riss sie ihre Axt nach oben, schlug sie in den Bauch des Tieres und zog kräftig in die entgegengesetzte Richtung. Ein lautes Heulen und Winseln verkündete ihren Erfolg. Das Höllenwesen war doch nicht so unbesiegbar.

 

Buffy wirbelte herum, und starrte in die Dunkelheit außerhalb des Lichtscheins der Fackel. Sie glaubte, es stark genug verletzt zu haben, wurde aber eines Besseren belehrt, als das Monster aus der Dunkelheit auf sie zusprang, sein Maul aufriss und gewaltige Zähne präsentierte. Buffy wurde von den Füßen gerissen, die Axt prellte aus ihrer Hand und schlitterte über den Boden. Sie hatte Mühe, sich mit Händen und Füssen gegen den Körper des Mondhundes zu stemmen, damit seine Zähne ihr weder die Kehle aufreißen, noch sein Kiefer nach ihrem Brustkorb schnappen konnten. Allerdings überraschte sie seine Kraft und ihre Arme begannen, müde zu werden. Das Wesen kam gefährlich mit seinem Gebiss näher. Buffy spannte ihre Muskeln, bis es weh tat, aber sie bekam das Monster keinen Millimeter weiter von sich weg.

 

Plötzlich heulte das Wesen gepeinigt auf und verschwand über ihr. Buffy sprang sofort auf die Füße und sah gerade noch, wie Giles in den Lichtschein zurücksprang. Der Mondhund prallte davor zurück, als wäre er gegen eine Mauer gelaufen.

 

„BUFFY! Die Axt!“ Giles war ihr die Axt zu. Sie fing sie aus der Luft auf, sah dass das Monster erneut Anlauf auf sie nahm und holte weit, in einer fließenden Bewegung aus. Sie ließ den Mondhund nahe an sich herankommen, machte einen flinken Schritt zur Seite und schlug mit aller Kraft zu. Die Axt drang dem Wesen zwischen den Augen, tief in das Fleisch ein. Buffy spürte einen Widerstand, die Schädeldecke und ließ los. Das Tier prallte im Flug gegen die Wand, orientierungslos vor Schmerz. Was die tiefe Bauchverletzung nicht erreicht hatte, schien der Schlag und der Aufprall geschafft zu haben. Das Wesen blieb winselnd am Boden liegen.

 

„Nimm die Fackel,“ rief ihr Giles zu und Buffy überlegte nicht lange. Sie griff nach dem Stiel, rannte zu dem Wesen, das versuchte nach Buffy zu schnappen, auch wenn es nicht mehr viel sah. Sie hielt ihm die brennende Fackel ins Gesicht, verbrannte ihm das Maul und hielt sich nicht lange mit falschem Mitleid auf, als sie das wenige Fell an seinem Körper in Brand setzte. Erst als sich die Jägerin sicher war, dass diese Ausgeburt der Hölle nicht noch einmal aufstand, ging sie mit Blick auf den Mondhund rückwärts in Richtung Giles.

 

Als sie ihn erreichte, verwandelte sich das Wesen mit einem langgezogenen Heulen in eine gigantische, lebende Fackel. Der Todeskampf währte noch, als rings um sie die Wände ineinander fielen, der Boden erzitterte und das gesamte Labyrinth um sie herum in sich einstürzte. In Erwartung unter den Trümmern begraben zu werden oder in einem Haufen Schutt wieder zu sich zu kommen, sahen sich Buffy und Giles erstaunt und überrascht an, als sie aus den Trümmern verschwanden und sich kurz darauf in einem heruntergekommenen Motelzimmer wieder fanden.

 

„Oops,“ Ethan starrte die beiden Neuankömmlinge an. So war das Ganze nicht geplant gewesen..

 

+++

 

Motelzimmer
Ein paar Sekunden später....
“Ethan...,“ spuckte Giles verächtlich den Namen aus. Der Tonfall ließ Ethan erahnen, dass die beiden längst gewusst hatten, wer dahinter steckte. Sie sahen nicht gerade frisch und munter aus, aber leider lebendig. Und zumindest die Jägerin hätte nach seinem Plan heute draufgehen sollen. Für Ripper hatte er anderes geplant.

 

„Hallo Rupert. Lange nicht mehr gesehen.“ Ethan wollte aufstehen, aber noch bevor er sich ganz erhoben hatte, war Buffy an seiner Seite und drückte ihn gewaltsam zurück auf den Boden.

 

„Unten bleiben,“ herrschte sie ihn an.

 

„Aber nun mal ganz langsam,“ beschwichtigte Ethan. „Ihr wollt euch doch nicht an einem unbewaffneten Mann vergreifen?“
 

Giles machte einen wütenden Schritt nach vorne, um Ethan zu zeigen, wie egal ihm dieser Punkt war, als die Türe aufflog und Dawn im Türrahmen stand. Hinter ihr drängten sich Xander, Andrew und Willow in den Raum.

 

„Was... oh, die Kavallerie,“ höhnte Ethan.

 

„Ethan Rayne,“ sagte Xander übelgelaunt. „Ich wollte es ja an der Rezeption nicht glauben, dass sich dieser Schwachkopf tatsächlich unter seinem richtigen Namen eingetragen hat. Noch leichter konnten Sie es uns wirklich nicht machen.“

 

„Nein,“ verfluchte sich Ethan. Immer wieder diese Fehler. Das letzte Mal war es seine Kreditkarte gewesen.

 

„Dumm gelaufen, mein Guter,“ grinste Buffy und stieß ihn mit der Schuhspitze an.

 

In Giles brodelte es. Doch bevor er seinem Ärger Luft machen konnte, hatte er Fragen. Viele Fragen. „Könntet ihr uns für einen Moment alleine lassen,“ sagte Giles in seiner ruhigen Art, die er meist an sich hatte, kurz bevor er ungemütlich wurde. Die Gang sah sich rasch an und auf einmal hatten sie es verdammt eilig, den Raum zu verlassen.

 

Ethan kam langsam auf die Beine. Lange Rituale hatten den Nachteil, dass einem dabei sämtliche Körperteile einschliefen.

 

„Hey, Ripper.. nur mit der Ruhe. Ich meine, wir können das doch alles bereden? In Ruhe. Bei einem Glas Bier? Ich meine... warte doch...nein...,“ weiter kam Ethan nicht, denn Giles’ Faust traf ihn mit voller, wütender Wucht ins Gesicht....

 

+++

 

Eine Lagerhalle

Am nächsten Abend.
Weatherby lief unruhig auf und ab. Immer wieder sah er auf seine Armbanduhr und fluchte leise vor sich hin. Unpünktlichkeit ging ihm auf die Nerven.


Plötzlich hört er ein leises tick, tock, tick tock. Er sah zum Fenster und entdeckte eine Krähe, die mit ihrem Schnabel gegen die Glasscheibe klopfte. Endlich!
 

Weatherby öffnete das Fenster und die Krähe sprang ins Innere. Plötzlich glomm ein blaues, elektrisierendes Licht auf und umspielte die Krähe. Es wuchs zu einer großen Energiekugel an, welche den Vogel verschluckte. Eine Sekunde später trat aus der Mitte der Kugel die anmutige, asiatische Frau heraus. Allein ihre Flügel waren ihr geblieben, die sie wie einen Umhang um ihren Körper schlug.

 

„Ihr wolltet mich sprechen?“

 

„Allerdings, Samielle,“ fuhr Weatherby die Frau an. „Ich dachte der Auftrag wäre deutlich gewesen?“

 

„Das ist er noch immer.“


„Dann erklärt mir, wieso Giles und seine Jägerin bereits wieder im Einsatz sind. Der Wächter hätte für eine Weile abgelenkt werden sollen.“

 

„Ich konnte nicht ahnen, dass mir dieser Chaosbringer mit seinen Racheplänen dazwischen funken würde. Mein Plan war perfekt. Und ich rate euch, daran keine Zweifel zu hegen. Und das nächste Mal, sollte mir mein Auftraggeber die Kritik selbst überbringen.“

 

„Er ist beschäftigt,“ winkte Weatherby ab und zuckte dann mit den Schultern. „Ich dachte, die Wahrsagerin würde ausreichen.“

 

„Sie machte ihren Job hervorragend. Mit dem Rätsel wäre der Wächter lange genug beschäftigt gewesen.“

 

„Was nützen mir Pläne, die perfekt sind, wenn sie nicht funktionieren,“ brummte Weatherby.

 

Die Frau verneigte sich leicht und hielt den Blick gesenkt, als sie wieder sprach. „Ich werde in Zukunft die Pläne besser überdenken.“

 

Sie verbarg das breite höhnische Grinsen, welches sie für diesen... Lakaien übrig hatte, der glaubte, seinen Frust an ihr auslassen zu müssen und zu dürfen.

 

+++

 

Cleveland, Straße

selbe Nacht.

Die Menschenmenge vor dem Konzerthaus löste sich langsam auf, als Giles Lily in den Van half. Im Inneren griff er nach dem Sicherheitsgurt, warf einen Blick in den Rückspiegel und stutzte kurz, als ihm die blau gefärbte Schwellung unter dem rechten Auge entgegenblickte. Der einzige Beweis dafür, dass sich Ethan kurz gegen seine Wut hatte wehren können.

 

Lily blickte zu Giles und sagte ernst: „Ich schätze dein Freund hat mehr abbekommen?“


„Nenn ihn nicht Freund,“ knurrte Giles, musste dann aber mit einem sehr zufriedenen Lächeln nicken. Der Scheck, den er dem Motelbesitzer für in die Brüche gegangenes Mobiliar überreicht hatte, hatte nicht wirklich weh getan.

 

„Was hast du eigentlich genau mit Ethan angestellt?“

 

„Außer den letzten Funken Verstand aus ihm herausgeprügelt zu haben? Nichts. Ich habe ihn zum Teufel gejagt.“ Giles lenkte den Wagen auf die Strasse.

 

„Du hättest ihn zur Polizei bringen sollen.“

„Ich weiß,“ Giles konzentrierte sich auf das Verkehrsaufkommen vor dem Konzerthaus. „Aber was hätte ich schon der Polizei sagen sollen?“, fügte er resigniert hinzu.

 

++++

 

Cleveland, unterwegs

Buffy schlenderte nachdenklich durch die Strassen ihres neuen Wohnviertels. Hier herrschte Ruhe und nicht ein einziger Vampir war ihr bis jetzt begegnet. Allerdings auch keine Menschenseele. Das wiederum machte sie stutzig. Aber im Moment schwirrten ihr ganz andere Dinge im Kopf herum.

 

Ein von Sorge gezeichnetes Gesicht zeugte von der Schwere ihrer Gedanken, die sich um das Labyrinth, ihre Worte gegenüber Giles und die Dinge drehten, die er ihr erzählt hatte. Und natürlich um Ethan. Diesen schmierigen kleinen Chaosbringer, der sich an ihnen für seine Verhaftung hatte rächen wollen, in dem er ein gieriges Monster auf ihre Fersen setzte, um Giles psychisch fertig zu machen. Ethan schien gehofft zu haben, ihr damit den Rückhalt zu rauben, um ein leichteres Spiel mit der Jägerin im Labyrinth zu haben.

 

Vielleicht hatte er auch nur einmal mehr ein böses Spiel mit ihnen gespielt, das haarscharf am Tod vorbei gegangen war. Und da das Böse nie gewinnen konnte, so optimistisch war Buffy inzwischen noch immer, war Ethans Plan wie so oft nicht aufgegangen. Das Monster, von dem Giles heute Morgen als Managram gesprochen hatte, war ein ausgestoßener Mondhund gewesen, der vor über 30 Jahren durch Zufall schon einmal Giles Weg auf tragische Weise kreuzte. Eine vom Rudel ausgestoßene Kreatur, die sich normalerweise von Toten ernährten, um mächtiger zu werden.

 

Ethans Monster hatte jedoch vor langer Zeit Gefallen an Frischfleisch gefunden und gierig wie es war, nicht genug bekommen. Zu ihrem Glück hatte es dadurch die sichtbare Blutspur durch Cleveland gezogen. Hätte Giles früher mit ihnen darüber geredet, hätten sie vielleicht gemeinsam Ethan als Drahtzieher entlarven können. Ihnen wäre das Labyrinth und der Streit erspart geblieben.

+++

 

Ratsgebäude

Der Van bog von der Hauptstrasse in das Wohnviertel ab, in welchem die ehemalige Baptistenkirche stand. Sie hatten beide eine Weile geschwiegen und hingen ihren Gedanken nach. Giles wusste, dass es nichts bringen würde, wenn er immer wieder versuchte, darüber nachzugrübeln, wieso Buffy in den letzten Wochen zum einen eine Abneigung gegenüber Lily entwickelt hatte und zum anderen, ihn von sich wegstieß.

 

Nicht das er das nicht gewohnt wäre – Buffy hatte immer wieder solche Phasen gehabt, doch gerade jetzt, als er zu glauben schien, alles würde sich fügen, fing es wieder von vorne an. Dabei hätte er sich, seitdem sie den Managram getötet hatten, gut fühlen müssen. Die ausgestoßene Höllenbrut, die vor so vielen Jahren seine Mutter ermordet hatte, weil der Rat es damals nicht für wichtig genug gehalten hatte, alle Wächter und Anwärter über die neue Kreatur im Spiel gegen das Böse zu informieren, war tot.

 

Sie war gerächt. Und doch blieb ein bitterer Nachgeschmack, den er Sinas Mondkarte zu verdanken hatte.


Die nordischen Mythen berichten über den Mondhund, dass er zum Zeitpunkt des Weltunterganges den Mond verschlingen würde. Der Mond. Er hatte die ganze Zeit nach einer Erklärung für diese Tarotkarte gesucht. Die anderen waren ihm jetzt endlich klar geworden, sie standen für seine Mutter, Thomas und Jenny. Sina hatte recht gehabt, es waren wichtige Personen aus seinem Leben, die durch die letzte Karte, den Tod miteinander verbunden waren. Sie alle hatten das gleiche Schicksal erlitten.

 

War die vierte Karte am Ende Buffy gewesen, die er vor Ethans Rache beschützt hatte? War die Gefahr damit gebannt? Oder war die vierte Person längst tot, und er war nur nicht fähig gewesen, das Rätsel zu entschlüsseln?

 

Die Attribute, die Sina für den Mond gedeutet hatte, passten nicht auf Buffy. Vielleicht hätte der Mondhund noch jemanden anderen getötet, der ihm etwas bedeutete, wenn sie sich ihm nicht im Labyrinth gestellt hätten. Oder es war nur ein weiterer Hinweis und die Person schwebte Gefahr.

 

„Rupert? Alles in Ordnung?“ Lily legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er drehte ihr seinen Kopf zu und starrte durch sie hindurch. „Rupert! Du fährst gerade am Haus vorbei!“

 

„Oh, was?“, er trat hart auf die Bremse. Sie wurden beide nach vorne geschleudert, und zurück in den Sitz geworfen. „Entschuldige. Ich war gerade...“

 

„Nicht anwesend? Das wäre noch stark untertrieben,“ stöhnte Lily und hielt sich den Kopf, der durch den Ruck unangenehm gegen die Kopfstütze geflogen war und zu dröhnen begann. Ohne weitere Worte legte Giles den Rückwärtsgang ein und setzte zurück in die Auffahrt des Ratsgebäudes.


„Du hast an Buffy gedacht oder?“, Giles nickte langsam und stellte den Motor ab. „Hast du ihr... hast du ihr alles über damals erzählt?“

 

„Nicht alles. Manche Dinge behalte ich doch lieber für mich. Buffy ist nicht sehr angetan von meiner Idee den Rat wieder aufzubauen. Es würde ihre Meinung darüber nur stärken, wenn ich ihr davon erzählt hätte, dass der Rat den Managram geheim hielt,“ Giles seufzte frustriert. „Aber es macht sie auch nicht wieder lebendig, wenn ich darüber weiter nachdenke.“

 

Er sah auf die Einfahrt hinaus. „Ich habe auch Buffy nichts von unserer damaligen Verlobung erzählt. Sie mag dich nicht besonders,“ gab er offen zu, da er wusste, dass Lily dies schon längst bemerkt und gespürt hatte. „Ich glaube es hätte ihr den Todesstoss versetzt, wenn ich ihr auch das noch gestanden hätte. Irgendwann wird sie auch das erfahren.“

 

++++

 

Erie See

selbe Zeit

Die blonde Jägerin zog ihre Jacke enger um ihren schmalen und schlanken Körper, als ein Wind vom See herüberwehte und eisige Kälte mit sich brachte. Sie war noch immer damit beschäftigt herauszufinden, wie sie sich bei Giles entschuldigen konnte. Schließlich hatte sie nicht alles so gemeint, wie sie es gesagt hatte. Einiges war ihr einfach schon zu lange schwer auf der Seele gelegen und sie hatte es bislang nur nicht laut ausgesprochen, um Giles nicht damit weh zu tun.

 

Der Grund lag viel tiefer, wie sie heute feststellen musste und war doch so viel banaler. Zum Teil ging es ihr nur darum, zu beweisen, dass sie nicht mehr länger von Giles abhängig sein wollte. Selbst Dawn hatte es geschafft, Schule und einen Job zu vereinbaren. Aber sie? Sie wusste noch nicht einmal, wieso sie noch immer gegen das Böse kämpfte, wo sie sich immer ein normales Leben gewünscht hatte, befreit von der schweren Last, die Welt vor dem Bösen zu bewahren.

 

Und da sollte sie einen von Giles bezahlten Job annehmen und sich erneut in Abhängigkeit begeben? Jetzt wo sie den Sprung in eine eigene kleine Wohnung geschafft hatte?

 

Womöglich wollte sie nur Distanz schaffen, verhindern, dass ihr wieder weh getan wurde, wenn sie sich zu sehr an die Anwesenheit von Giles gewöhnt hatte. Ein Ruf aus London und ihr ehemaliger Wächter war wieder fort.

 

Wen hatte sie denn noch, auf den sie sich als Erwachsenen verlassen konnte? Ihre Mutter lag beerdigt unter den Trümmern von Sunnydale, ihr Vater kümmerte sich lieber um Sekretärinnen und seinen Job, hatte nie richtig Zeit am Telefon und die weitläufigen Verwandten kannte sie kaum. Dawn war einfach noch zu jung, um manche Probleme wirklich zu verstehen, Willow und Xander begannen langsam aus ihrem Schatten herauszutreten, um ein eigenes Leben zu führen, wie sie es schon in den letzten beiden Jahren in Sunnydale versucht hatten.

 

Angel war unerreichbar in LA. mit eigenen Problemen beschäftigt und Spike, dem sie das letzte Jahr über so viel Vertrauen entgegen gebracht hatte, der für sie trotz allem da gewesen war, hatte sich am Rand des Höllenschlundes für sie alle geopfert. Vielleicht wäre es keine all zu schlechte Idee, wenn sie einfach Angel anrief, um ihm mitzuteilen, dass sie wieder im Lande war? Sie konnte ihm ihre Probleme erzählen, ein paar Erinnerungen an Spike austauschen... aber das würde ihr Problem mit Giles nicht lösen.

 

Sie wusste, dass Giles einen Verdacht hatte. Schon als er im Labyrinth aufgehört hatte, ihr zu widersprechen, sondern sie reden ließ und dann mit seinem durchdringenden Blick taxiert hatte, war ihr das klar geworden. Aber was würde sie ihm sagen, wenn er irgendwann in den nächsten Wochen nach Antworten verlangte? Wo sie ihm doch solch gemeine Dinge an den Kopf geworfen hatte.. von ihrer Freundschaft sogar als Verpflichtung gesprochen hatte, ihn als kaltblütigen Mörder von Ben sah...

 

Dabei war die Antwort doch so einfach und hatte ihren Ursprung an dem Tag genommen, als sie in LA zwischenlandete, bevor sie nach Cleveland weiterflog.

 

++++

 

Ratsgebäude

Wieso und warum es geschah oder wer das richtige Signal setzte, wusste Giles nicht mehr zu sagen, als er auf der Treppe nach oben Lilys Hüfte umschlang, um sie an sich heranzuziehen. Sie wehrte sich nicht einmal besonders, als er sie zögernd küsste.

 

Vielleicht lag es an dem Moment im Wagen, als sie zum ersten Mal, seit sie einander wieder in London begegnet waren, von der „großen“ Sache zwischen ihnen gesprochen hatten. Möglicherweise brauchte er auch einfach nur ein wenig Trost nach allem mit Buffy, jemanden der ihn hielt und Liebe gab, der ihn verstand, der Erinnerungen mit ihm teilte ... und sie.. sie schien es die ganze Zeit über erwartet zu haben...

 

... sie nahmen sich nicht die Zeit für den Weg ins Schlafzimmer und aus dem zögernden Kuss war Leidenschaft geworden, die Jahre lang geschlummert hatte. Vergraben unter einem Panzer der Bitterkeit und Enttäuschung. Er hatte damals seine Zelte abgebrochen, war Hals über Kopf aus Oxford verschwunden und in London untergetaucht. Er hatte Zeit gebraucht, um mit dem erneuten, aber endgültigen Verlust seiner Mutter fertig zu werden.   

               

Ihm war nicht mehr nach nächtlichen Studien von Vampiren, Werwölfen und anderen Kreaturen oder dem Okkulten gewesen. Es war für ihn nicht möglich gewesen, etwas weiterzuführen, mit dem er angeblich gegen das Böse auf der Welt vorgehen konnte und dabei nicht einmal seine Mutter hatte beschützen können. Sie war dem zum Opfer gefallen, vor dem sie damals Jahre zuvor geflohen war, als sie die Familie verließ. Es war einfach zu einer Glaubensfrage geworden.

 

Erst später, als er Ethan und den Rest kennen lernte, taute er wieder auf, war bereit für das Leben. Ein wenig zu zügellos, zu freigiebig, als wäre jeder Tag sein letzter gewesen. Lily hatte keinen Platz darin gehabt und als er zu ihr zurückfand, hatte sie das auch selbst erkannt...

 

...seine Smokingjacke flog auf die Küchentheke und Lilys Finger löste seine Fliege. Seine Hände streiften ihre Bluse über die Schultern und verharrten über einer halbkreisförmigen Narbe an ihrem Oberarm.

 

„Die scheint mir neu zu sein,“ sagte er lächelnd und fuhr sanft mit den Fingerspitzen darüber.

 

„Was?“ Lily wurde aus ihren warmen Gedanken gerissen und folge Giles Fingern, die über ihre Narbe strichen. „Oh, du meinst meine Narbe. Ja,  die habe ich mir vor ein paar Monaten zugezogen, als ich vom Pferd fiel,“ sie griff nach seiner Hand, zog sie an ihre Lippen, und küsste seine Fingerspitzen. „Nichts ernstes...,“ hauchte sie atemlos, als Giles seine Hand zurück zog, und begann ihren Hals mit leichten Küssen zu bedecken. „Ich bin nur ungeschickt gegen den Zaun geflogen und hab mir einen rostigen Nagel in das Fleisch gebohrt.“

 

„Mhm,“ murmelte Giles und sah zu ihr zurück. „Sie verunstaltet dich nicht gänzlich,“ grinste er und bekam einen Klaps. Doch dann zog Lily Giles am offenen Hemdkragen zu sich herunter und hauchte ein: „Ich erwarte jetzt deine vollste Konzentration...“, bevor ihre Worte in einem langen, leidenschaftlichen Kuss untergingen.

 

++++

 

Erie See

selbe Zeit

Buffy stand alleine auf einer Mauer, sah mit traurigem Gesicht hinüber zum Erie-See, ließ die kühle Briese in ihrem Haar spielen und hatte gegen die innere Kälte ihre Arme um ihren Körper geschlungen.

 

Heute Nacht war ihr klar geworden, wie einsam sie wirklich war. All ihre Freunde, die sie über die letzten Jahre durch alle Tiefs und Hochs begleitet hatten, konnten diese Einsamkeit nicht vertreiben. Denn im Gegensatz zu ihr, hatten sie alle Dinge in ihrem Leben erreicht, hatten ein Ziel vor Augen und das beängstigende an der ganzen Sache war, dass sie inzwischen auch alle sehr gut auf sich alleine aufpassen konnten. Noch nie war sie sich so überflüssig vorgekommen, wie in diesem Augenblick...

 

Grrrarghhhh